Hundt über "Heuschrecken"

BERLIN. Der Ton in der Debatte über die Auswüchse des Kapitalismus wird immer schärfer. "Ich finde es zum Kotzen, was derzeit in dieser Republik abläuft", empörte sich jetzt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

Anstatt sich mit den wahren Problemen zu beschäftigen, "reden wir von Heuschreckenplagen, von Raubtierkapitalismus, von asozialem Verhalten und dergleichen mehr", sagte Dieter Hundt. Das ließen die Adressaten der Kritik nicht lange auf sich sitzen. "Dieter Hundt findet die Kapitalismusdebatte zum Kotzen. Übel wird einem aber viel eher, wenn man seinen Wortbeiträgen zuhören muss", keilte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß zurück. Bei solchen Rempeleien müssten sich die Bürger eigentlich frustriert abwenden. Doch das stimmt nur bedingt. Die vom SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering entfachte Diskussion, die vor knapp drei Wochen mit einer Rede zum künftigen Parteiprogramm begann, trifft durchaus den Nerv der Bevölkerung. 74 Prozent der Bundesbürger, das fand das ZDF-Politbarometer in seiner jüngsten Umfrage heraus, sehen eine Diskrepanz zwischen den hohen Gewinnen in Unternehmen und der gleichzeitigen Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Und nach einer Erhebung des Ipsos-Instituts sind sogar 78 Prozent der Auffassung, dass die Menschen für Betriebe lediglich einen Kostenfaktor wie Maschinen darstellen. Umfrage: SPD sackte in der Wählergunst ein

Trotzdem kann die SPD keinen Honig daraus saugen. In der politischen Stimmung sackte die Partei laut Politbarometer binnen zwei Wochen um drei auf nur noch 28 Prozent ab. Würde an diesem Sonntag tatsächlich gewählt, kämen die Genossen nur auf 30 Prozent. Das ist ein Prozent weniger als in der Vorwoche. Der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte hat dafür eine einleuchtende Erklärung: Die Bevölkerung sehe in Münteferings Attacke "eine bloße Inszenierung, der keine politische Entscheidung folgt". Die SPD-Spitze tröstet sich dagegen mit der Hoffnung, dass die Botschaft noch eine Weile braucht, um sich wählerwirksam zu entfalten. In der Bundestagsfraktion kursiert unterdessen ein Papier, das darüber Auskunft gibt, was der Chef eigentlich mit "Heuschrecken" meint, die angeblich über Unternehmen herfallen, um sie abzugrasen und dann weiter zuziehen. Genannt wird darin beispielsweise die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft KKR, die vor sechs Jahren gemeinsam mit einer US-Bank den Elektronikhersteller Siemens-Nixdorf übernahm und an die Börse brachte. Vom Erlös in Höhe von 350 Millionen Euro blieb dem Betrieb nur ein Bruchteil erhalten. Knapp zwei Drittel der Summe sackten die KKR und das Geldinstitut ein. So gerät die SPD natürlich auch unter Druck, ihren Worten endlich Taten folgen zu lassen. Besonders die Parteilinke sucht dem Eindruck zu begegnen, dass die Kapitalismus-Kritik nur ein Strohfeuer für die Wahl in Nordhrein-Westfalen am 22. Mai sein könnte. Das Thema werde auch darüber hinaus "am Rollen" gehalten, versicherte Präsidiumsmitglied Andrea Nahles. Als ein erster praktischer Schritt gilt die am Mittwoch vom Kabinett beschlossene Ausweitung des Entsendegesetzes. Damit soll der Billigkonkurrenz aus Osteuropa begegnet werden. Zur Durchsetzung dieses Plans ist allerdings die Zustimmung der Union notwendig. Doch die hat sich schon der Kritik des Unternehmerlagers angeschlossen. Im Konrad-Adenauer-Haus wird ohnehin damit gerechnet, dass der Kanzler nach dem 22. Mai wieder stärker den Genossen der Bosse herauskehrt, was zu einem Konflikt mit Parteichef Müntefering führen könnte.

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