Hysterie und Nebelkerzen

Höhere Mehrwertsteuer, niedrigere Pendlerpauschale, Wegfall der Eigenheimzulage, längere Lebensarbeitszeit - wer dem politischen Geschehen überhaupt noch folgen kann, dem muss der Kopf schwirren. Aus den schwarz-roten Verhandlungsrunden sickern scheinbar immer neue Grausamkeiten durch.

Dabei vermag kaum jemand seriös zu sagen, was davon was Dichtung und Wahrheit ist. Die Medien sind an der Hysterie dieser Tage nicht unschuldig. Je unausgegorener die Idee aus anonymen Quellen, umso mehr hat sie scheinbar das Zeug, auf den Titelseiten zu landen. Nun wäre es sicher grundfalsch, ein rosiges Bild von unserer desolaten Kassenlage zu malen. Das haben schon ganze Generationen von Finanzministern besorgt. Mit dem bekannten Ergebnis. Richtig ist aber auch, dass Deutschland nach wie vor zu den führenden Industrienationen der Welt zählt. Deshalb ist es genauso falsch, den Zustand der Republik nur in Düsternis zu beschreiben. Was nun den Stand bei den Verhandlungen von Union und SPD angeht, so gilt die nüchterne Erkenntnis: Geredet wird tatsächlich über alles Mögliche, entschieden ist noch nichts. Unterscheiden darf man aber bereits zwischen völlig abstrusen Ideen und solchen, an denen eine große Koalition wohl nicht vorbeikommen wird. Zur ersten Kategorie gehört die gestern kolportierte "Solidaritätsabgabe" in Höhe von bis zu zwölf Prozent auf die Einkommenssteuer. Dilettantischer ließe sich eine Steuererhöhung kaum kaschieren. Ebenso gut könnte auch gleich die Einkommenssteuer steigen, zumal es den Solidaritätszuschlag darauf längst gibt. An einer Anhebung der Mehrwertsteuer herrscht dagegen kaum mehr Zweifel. Auch wenn die Maßnahme als Konsumkiller gilt, ohne Mehreinnahmen ist die desolate Finanzlage der öffentlichen Hand nicht zu beheben. Auf der anderen Seite geht es um notwendige Minderausgaben, die sich zum Beispiel über eine Abschaffung der Eigenheimzulage und die Kürzung der Pendlerpauschale erzielen lassen. Ziemlich unklar ist noch, wie die Sozialsysteme saniert werden sollen. Dafür könnte das erhöhte Mehrwertsteueraufkommen wenigstens zum Teil herangezogen werden. Die diskutierte Einschränkung der kostenlosen Mitversicherung von Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenversicherung hat ihre Tücken, weil die betroffenen Besserverdiener in Scharen aus der Solidargemeinschaft zu den Privatanbietern abwandern könnten. Auch die neu aufgewärmten Pläne über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sind kein Rezept gegen die aktuelle Finanzmisere. Die Ersparnisse schlagen frühestens im nächsten Jahrzehnt zu Buche. Unabhängig davon müssen sich die Bürger aber aus demografischen Gründen auf eine längere Lebensarbeitszeit einstellen. Nimmt man alles zusammen, dann wird auch ohne ausstehende Details klar, dass die Einschnitte hart und schmerzlich ausfallen werden. Umso mehr kommt es für eine große Koalition darauf an, nicht nur der Sparpolitik das Wort zu reden, sondern ihrem Regierungsprogramm eine Vision zu geben. Dazu gehört eine soziale Balance, die die Agenda 2010 vermissen lässt. Erst in ihrem Wahlprogramm hatte sich die SPD zu einer Reichensteuer bekannt. Warum redet darüber eigentlich keiner mehr? nachrichten.red@volksfreund.de

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