Im Himmel und auf Erden

Das hätten sich Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wohl nicht träumen lassen, dass ihre gesammelten Evangelisten-Werke dermaleinst zwischen der Topstar Cola zu 39 Cent und dem Tandil Color-Waschmittelpack zu 3,59 Euro käuflich zu erwerben sein würden.

Und der alte Josef Beuys wäre wohl in Kenntnis der Tatsache, dass einer seiner Meisterschüler seine Grafiken im Supermarkt vertickt, mit einer Ladung Schmiere zu Aldi gefahren und hätte eine Registrierkasse samt Förderband kurzerhand in eines seiner fettigen Gesamtkunstwerke verwandelt. Einige Fragen sind noch klärungsbedürftig. Zum Beispiel, ob die Aldi-Plastiktüten überhaupt groß genug sind, um die Original-Drucke samt Rahmen standesgemäß verstauen zu können. Und ob die Grafiken im Verkaufsraum wie der MD-Player und die Digitalkamera hinter sperrgesichertem Panzerglas aufgebahrt werden müssen, um sie vor dem Zugriff entfesselter Massen zu schützen. In den Genuss der Bibel werden wir Moselaner gar nicht erst kommen, gehört doch die Region um das "Rom des Nordens" aldi-mäßig zu den Südstaaten. Dass man im Norden das Wort Gottes verkauft und im Süden die wilde Kunst, provoziert ohnehin tiefsinnige Überlegungen. Selbst für den eingefleischtesten Atheisten steht aber immerhin eines fest: Jede einzelne verkaufte Aldi-Bibel sorgt im Himmel und auf Erden für mehr Freude als zehn Bohlens oder Effenbergs. Und jede Droese-Grafik, die einen röhrenden Hirsch ersetzt, ist ein kultureller Meilenstein in deutschen Wohnzimmern. Nur die Buch- und Kunsthändler werden mit gemischten Gefühlen auf die neue Konkurrenz blicken. Aber sie könnten ja mit gleicher Münze zurückzahlen: Zu jedem Kinderbuch ein Glas Nutoka-Haselnusscreme zu 50 Cent, und Aldi begänne zu zittern.

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