Intelligente Lösungen gesucht

"Der Deutsche lebt, um zu arbeiten, und der Franzose arbeitet, um zu leben", sagte ein früher weit verbreitetes Sprichwort. Es muss in grauer Vorzeit entstanden sein. Heute beginnt der um die Laune seiner Hörerschaft besorgte Radiomoderator montags um zehn, die verbleibenden Stunden bis zur Mittagspause und die restlichen Tage bis zum Wochenende zu zählen.

Die Gedanken vieler Arbeitnehmer kreisen um den nächsten Urlaub oder um die Frage, wie man den Arbeitsalltag übersteht, ohne sich im Übermaß zu verausgaben. Eine Ansammlung von Klischees? Mag sein. Aber mit einem wahren Kern. Vielen Deutschen ist die Arbeit als positiv besetztes, identitätsstiftendes Element abhanden gekommen. "Arbeit schafft Wohlstand" war die Devise der Nachkriegszeit. "Je weniger Arbeit, desto besser" lautete das Motto im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts. Weil aber niemand weniger Wohlstand wollte, wurde die Arbeit teurer. Weil die Arbeit teurer wurde, ersetzte man sie immer mehr durch Maschinen und drehte in einzelnen, personalintensiven Bereichen an der Belastungsschraube. Wer aus diesem Teufelskreis heraus will, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass insgesamt wieder mehr geleistet werden muss. Die Frage ist nur, ob eine flächendeckende Verlängerung der Arbeitszeiten zu dem gewünschten Ergebnis führt. Die richtige Einstellung zur Arbeit, die Bereitschaft, das Optimum zu bringen, wächst nicht zwangsläufig, nur weil man zwei Stunden länger bleibt oder eine Woche weniger Urlaub hat. Pauschale Lösungen greifen nicht. Wer sie fordert, will lediglich zugunsten des eigenen Säckels Lohnkosten senken. Es gibt Branchen, in denen längere Arbeitszeiten sinnvoll sind. Es gibt andere, in denen noch viel zu lange gearbeitet wird. Fließband-Arbeiter oder Hochofen-Heizer sind nach 30 Wochenstunden vielleicht schon am Rand ihrer Möglichkeiten. Der Büro-Arbeiter kann eventuell auch 45 Stunden verkraften. Und die Mitarbeiter selbst? Da ist es doch genau so. Mancher wäre froh, er könnte länger arbeiten. Andere nähmen Gehaltseinbußen in Kauf, wenn sie eine Arbeitszeit nach Maß hätten. Wieso sollte es keine intelligenten Lösungen geben, die die Interessen bestmöglich unter einen Hut bringen? Dafür müssten die Arbeitgeber zunächst einmal jene Flexibilität aufbringen, die sie von ihren Mitarbeitern schon lange einfordern. Dafür müssten sich aber auch die Gewerkschaften von der in der Praxis längst zertrümmerten Illusion trennen, es sei möglich, bundesweit, branchenübergreifend und betriebsunabhängig gleiche Bedingungen für alle Arbeitnehmer zu schaffen. Sie hätten dann eine große Aufgabe, gemeinsam mit der Sozialdemokratie: Dafür zu sorgen, dass die Mehrarbeits-Bereitschaft ihrer Klientel auch tatsächlich in den Aufschwung der Volkswirtschaft fließt - und nicht als Extra-Profit in die Taschen saturierter Aktionäre nebst Großkonzernen und Banken. Dann, und das signalisieren alle Umfragen, wären die Deutschen auch bereit, sich mehr zu plagen. Aber nur dann. d.lintz@volksfreund.de

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