Irrungen und Wirrungen

Immer weniger Menschen vertrauen offenbar dem tröstlichen Spruch, wonach wahre Schönheit von innen kommt. Die Welt, in der wir leben, ist zu einer Welt der Äußerlichkeit geworden, einem Marktplatz der Eitelkeiten, auf dem sich immer mehr Menschen tummeln.

Die Fernsehsender, vor allem private Anstalten, haben diese Entwicklung nicht nur gewittert, sie wollen davon auch richtig profitieren, neuerdings mit Schönheits- und Operationsshows. Das ist natürlich legitim - wenn dabei ein Minimum an Ethik und Anstand gewahrt bleibt. Nun sind Ethik und Anstand keine Kategorien, an denen sich Geschäftemacher, gleich welcher Branche, ernsthaft orientieren. Fernsehschaffenden geht es in erster Linie um die Quote, die als wichtigste Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg gilt. Mit Quote macht man Profit, und das genügt anscheinend zur Begründung auch fragwürdigster Methoden, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu wecken. Am besten gelingt dies mit dem bewährten Mittel des Tabubruchs. Fernseh-Produktionsfirmen in aller Herren Länder versuchen sich daran; insbesondere in den USA, Brasilien und Japan wird diesbezüglich rege (und rüde) Phantasie bewiesen. Skrupelloser Branchenführer in Europa ist die niederländische Formate-Fabrik "Endemol”, die auch in Deutschland überaus aktiv ist. Nichts ist den Holländern zu primitiv, als dass es nicht als billige Fernsehkost für den einfachen Geschmack taugen könnte. Jetzt will man Spermien-Rennen veranstalten, und männliche Sexprotze, die im Wettbewerb Frauen schwängern sollen, gut ausgeleuchtet in Szene setzen. Wer bei solchen Ankündigungen keine Abwehrreflexe spürt, sollte vielleicht mal den Arzt aufsuchen und den Grad seines Phlegmas hinterfragen. Erstaunlich ist jedenfalls, wie zurückhaltend, ja scheu die Medienwächter von den Landesmedienanstalten dem Treiben mancher Fernsehsender zuschauen. Das ist auch deshalb interessant, weil den Kontrolleuren von Sex und Gewalt bestens bekannt ist, dass bereits jedes dritte Kind ab sechs Jahren (!) einen eigenen Fernseher im Zimmer hat. Sicherlich muss der Grundgesetz-Artikel 5 (Meinungs- und Informationsfreiheit) über jeden Verdacht der Relativierung erhaben sein. Aber das gilt in gleichem Maße für Artikel eins, der nicht umsonst an erster Stelle der Verfassung steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es geht hier nicht darum, nach Verboten zu schreien oder von Zensur zu faseln. Es geht darum, eine Diskussion zu führen, bei der die Gesellschaft definiert, was sie sich selbst und vor allem der nachwachsenden Generation zumuten will. Nicht nur die professionellen Medienwächter, auch die Fernsehzuschauer müssen bei irgendwelchen Operations- oder Befruchtungsshows Artikel eins und fünf gegeneinander abwägen. Und wir müssen uns fragen, ob wir die immer schamlosere Ausbeutung und Kapitalisierung menschlicher Irrungen und Wirrungen tatsächlich als Zukunftschance begreifen. Nicht alles, was machbar ist, darf auch erlaubt sein. Vor allem dann nicht, wenn es die Potenz besitzt, unter dem Deckmantel der Pressefreiheit das moralische Fundament der Nation zu unterminieren. nachrichten.red@volksfreund.de

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