Jeder ist gefordert

Kinder sind der Schatz einer Gesellschaft. Umso betroffener muss die steigende Zahl der Misshandlungen machen. Selbst wenn sich die Zunahme möglicherweise vor allem darin begründet, dass lediglich die Mauer des Schweigens öfter bröckelt.

Gewalt gegen Kinder hat viele Ursachen: Eltern fühlen sich überfordert, es fehlen familiäre und gesellschaftliche Strukturen, die Halt und Hilfe geben könnten. Nicht zuletzt die Distanz zwischen Erwartung und Ansprüchen an das Leben einerseits und dem realen, häufig tristen Alltag andererseits schafft vor allem in sozial schlechter gestellten Familien viel Konfliktpotenzial. Kinder sind dabei oft das schwächste Glied in der Kette die Leidtragenden, die Frust und Ärger im wahrsten Wortsinn über Ausbrüche "zu spüren" bekommen. Nicht umsonst bietet der Kinderschutzbund Kurse unter dem Motto "Starke Eltern - starke Kinder" an. Ist die Familie nicht mehr intakt, müssen Gesellschaft und Politik eingreifen. Vor diesem Hintergrund ist es traurig, aber notwendig, nicht nur mit Hilfsangeboten zu reagieren, sondern Vorsorgeuntersuchungen verbindlich zu machen. Nur so gibt es einen Weg gerade zu den Familien, die bislang ihre Verpflichtung auf das Kindeswohl vernachlässigen oder den Nachwuchs gar misshandeln. Der Weg des Saarlandes scheint da durchaus Sinn zu machen: Wer trotz Aufforderung nicht mit seinem Nachwuchs zur Vorsorge erscheint, wird eben vom öffentlichen Gesundheitsdienst aufgesucht. Werden Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht, müssen sie staatliche Einmischung hinnehmen. Doch es braucht mehr als verbindliche, regelmäßige und breiter angelegte medizinische Vorsorge. Ein soziales Frühwarnsystem, das nach jüngsten Schlagzeilen um erschütternde Kinderschicksale erst in wenige Modellprojekten angelaufen ist, muss möglichst rasch zu einem flächendeckenden Netz ausgebaut werden. In der Verantwortung bleiben gleichwohl erst einmal die Eltern selbst. Aber auch alle, vor deren Augen sich Vernachlässigung und Misshandlung abspielen, sind gefordert, Courage zu zeigen, statt wegzuschauen. j.winkler@volksfreund.de

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