Kalkül oder Ironie?

In ihrem Kampf um Gleichberechtigung brauchen Frauen einen langen Atem. Auch 2006 ist höchstens eine Etappe bewältigt. Und zwar nicht allein mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern - auch in Deutschland haben Frauen weiterhin Grund, gegen ihre gesellschaftliche Benachteiligung auf die Barrikaden zu gehen: Bei gleicher Bildung haben sie weniger Einkommen.

Weil sie Kinder erziehen und deswegen lange gar nicht oder nur teilzeitbeschäftigt sind, ist die Altersarmut weiblich. Und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist bislang ein Problem, das fast ausschließlich Frauen lösen müssen. Aber jetzt geht es dabei nicht mehr nur um Fragen der Befindlichkeit der Frau. In der Zwischenzeit haben Frauen ein Argument an der Hand, das auf die traditionell von Männern dominierte und sich an harten wirtschaftlichen Fakten orientierende Politik einen ganz anderen Eindruck macht: Je mehr sich Frauen in der gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Situation gegen Kinder und für einen Beruf und damit ihre eigene wirtschaftliche Absicherung entscheiden, desto mehr stehen der hohe Lebensstandard einer schon jetzt überalternden Gesellschaft und der Fortbestand ihrer Sozialsysteme auf dem Spiel. Dass sich Frauen so entscheiden, ist eine Konsequenz aus der de facto bestehenden Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Und diese Konsequenz ist langfristig fatal. Die Politik scheint das eingesehen zu haben und unternimmt Schritte, um Abhilfe zu schaffen, indem sie die Betreuungsmöglichkeiten und -einrichtungen für Kinder verbessert. Aber: Die Politik tut das nicht, um endlich die Forderung der Frauenbewegung nach mehr Chancengleichheit zu erfüllen, sondern sie argumentiert mit wirtschafts- und sozialpolitischen Notwendigkeiten. Dass es mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer Familienministerin Ursula von der Leyen ausgerechnet zwei Frauen sind, die auf dem Umweg über trockene Wirtschafts- und Sozialpolitik die Umsetzung frauenpolitischer Ideale vorantreiben (müssen), könnte als Ironie der Ereignisse gedeutet werden. Es handelt sich wohl kaum um ein hintersinniges Kalkül zweier Politikerinnen. Am Weltfrauentag bleibt mit Blick auf Deutschland somit eher resignierend festzustellen: Mehr als einer aktiven Frauenpolitik wird es den schwierigen Zeiten zu verdanken sein, wenn es Frauen auch mit Kindern in Zukunft leichter haben sollten, gleichberechtigt in der Arbeitswelt ihren Mann zu stehen. Was aber passiert, wenn die Zeiten sich ändern? s.ganz@volksfreund.de

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