Kirchliche Kosmetik

Warum geht man – wenn man denn überhaupt noch geht – in die Kirche? Wenn nicht nur als Tourist, der den Sakralbau unter rein kulturellen, architektonischen Gesichtspunkten besichtigt, sondern als Christenmensch (oder auch nur als Mensch), dann doch wohl in erster Linie, um zu beten.

Warum geht man – wenn man denn überhaupt noch geht – in die Kirche? Wenn nicht nur als Tourist, der den Sakralbau unter rein kulturellen, architektonischen Gesichtspunkten besichtigt, sondern als Christenmensch (oder auch nur als Mensch), dann doch wohl in erster Linie, um zu beten. Genauer: Um Gott die Ehre zu geben, über ihn, die Welt und sich selbst nachzudenken, die eigene, oft fragwürdige Rolle und Bedeutung zu reflektieren, sich auf Höheres zu besinnen usw. Und die Liturgiker würden wohl hinzufügen oder zusammenfassen: um Gottesdienst zu feiern.Dass es aber Sinn und Ziel des Kirchgangs sei, sich zu treffen, um freudig festzustellen, wie viele man ist, das steht oder stand bislang nirgends geschrieben – bis gestern. Nun haben die Experten der Liturgiekommission, jener Einrichtung also, deren Wissenschaft eigentlich der Gottesdienst ist, angehoben, die Geschichte neu zu schreiben. Ein Blick auf die Vorschläge reicht aber, um festzustellen: Der Versuch ist misslungen, es brauchen sich keine weitere Gremien zu bilden. Beim oberflächlichen Überfliegen könnte einem die moderne Erkenntnis in den Sinn kommen: "Wenn du nicht mehr mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis." Dort ist ja Diskutieren in alle Richtungen gefragt und weder den Gedankenströmen noch der auf sie folgenden Papierflut ein Maß gesetzt. So kann denn auch munter dargelegt werden, wie dem Ausbleiben der Kirchenbesucher zu wehren sei: durch Einziehen von Trennwänden, Vorhängen oder Gittern, dem Entfernen überflüssiger Bänke bis hin zum Abriss der Kirche und dem Neubau einer kleineren Version – und das alles, damit die wenigen einsamen Rest-Schafe nicht erschrecken. Erschrecken werden aber die Bischöfe. Und das hoffentlich nicht nur, weil sie mit ihren klammen Kassen jede bauliche Investition scheuen. Es gibt auch andere Gründe, die Experten an ihrem forschen Vorhaben zu hindern. Vielleicht könnte den großen und kleinen Kirchgängern gerade im weiten, leeren, hohen Kirchenschiff klar werden, wie klein man doch tatsächlich ist, und wie relativ gering die eigene Bedeutung – beste Grundlage für gutes Beten. Oder aber, wenn sie denn berufen sind, an den mickrigen Kirchenbesucherzahlen etwas zu ändern, dann könnten sie sich anstrengen, die Gläubigen wieder verstärkt hereinzuholen. Das geht aber nur, indem die ewige, alte, immer gleiche Botschaft authentisch, klar und offensiv verkündet wird. Vielleicht allerdings endlich wieder in einer zeitgemäßen Sprache. Das zu bewerkstelligen, bedarf aber größerer intellektueller Anstrengungen, als Kosmetik- oder Abrisspläne zu entwerfen. m.pfeil@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort