Kommentar: Wahlkampfgeschenk

Wer hätte das gedacht: Ab Sonntag rollt tatsächlich der ICE von Trier nach Berlin. Noch bevor der erste Reisende von der Mosel ohne umzusteigen im Bahnhof Zoo angekommen ist, wurde der Zug bereits zum Politikum.Der Trierer CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster schrieb sich den Hochgeschwindigkeitszug auf seine Fahnen und vor allem auf seine Wahlplakate. Der clevere Politiker nutzte die Zusage der Bahn, die erst nach jahrelangem Nachbohren Kasters noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl kam, um sie als seinen Erfolg zu feiern. Das ist sein gutes Recht. Zumal die Direktverbindung die Attraktivität des Bahnstandortes Trier aufwertet. Zumindest auf den ersten Blick.

Doch offenbar ist man selbst bei der Bahn nicht wirklich von der Notwendigkeit dieser Direktverbindung überzeugt. Man weiß, dass man den klassischen Geschäftsreisenden damit eh nicht erreichen kann. Der setzt sich eineinhalb Stunden später in Luxemburg ins Flugzeug und ist eine Stunde später in Berlin.

Mit dem neuen Zug schließt das Unternehmen lediglich eine Lücke, die durch den Wegfall der Interregios gerissen wurde: die schnellere Anbindung ans Ruhrgebiet. Zweifelhaft aber, ob damit die Verbindung rentabel wird. Dass der Zug täglich von Trier aus bis zum Ziel voll sein wird, daran zweifelt man auch bei dem Unternehmen. Zumal er vollkommen am tatsächlichen Bedarf vorbeigeht: die Abfahrtzeit völlig unattraktiv, die Reisedauer inakzeptabel. Mit jedem anderen Zug von Koblenz aus ist man schneller in der Hauptstadt als mit dem Trierer ICE, selbst mit Umsteigen. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen auch die nicht unerheblichen Kosten für längere und höhere Bahnsteige in Bullay und Cochem. Und das alles, damit zwei- mal am Tag am frühsten Morgen und am späten Abend ein ICE dort hält, der vermutlich überwiegend nur warme Luft transportieren wird.

Nähme es die Bahn ernst mit einer besseren Anbindung der Region an den Fernverkehr, müsste sie mehr tun, als ein Wahlkampfgeschenk an einen Politiker zu verteilen, das vermutlich nach einem Jahr wieder eingepackt werden muss.

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