Konjunktur und Koalition

Angela Merkel ist zweifellos auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Die politische Bilanz der Kanzlerin zur Halbzeit der Wahlperiode klingt ja auch ermutigend: Eine Million Arbeitslose weniger, und selbst ein schuldenfreier Bundeshaushalt gehört nicht länger ins Reich der Utopie.

Wer wollte Merkel da verübeln, wenn sie im Bundestag von einer "Erfolgsgeschichte" spricht?

Im auffälligen Kontrast dazu steht allerdings der Zustand der Großen Koalition. Anstatt sich kollektiv an den guten wirtschaftlichen Daten zu erfreuen und über neue Taten nachzusinnen, herrscht Nervosität im Regierungslager. Denn auch das gehört zur politischen Zwischenbilanz: Während die Union wieder bei 40 Prozent der Bürger punktet, dümpeln die Genossen in der Wählergunst gerade einmal bei 25 Prozent.

Dabei war die Kanzlerin noch nie so sozialdemokratisch wie heute. Aber genau das ist das Problem der SPD. Wenn Merkel die Agenda 2010 ausdrücklich lobt, dann piesackt sie in Wahrheit die Genossen. Schließlich streitet die SPD gerade mit aller Leidenschaft, ob man auf den von Gerhard Schröder begründeten Reformkurs stolz sein darf oder sich dafür schämen muss. Merkels Maxime eines Aufschwungs für alle kratzt ebenfalls am politischen Copyright des Koalitionspartners. So steckt die SPD im Dilemma: Einerseits spricht sie gern über die sozialdemokratische Prägung der Regierungsarbeit. Andererseits droht sie daran zu zerbrechen.

Beide Seiten reden bereits jetzt über das Ende ihrer Zusammenarbeit. Schon finden Koalitions-Spielchen und mehr oder minder heimliche Treffen mit neuen Partnern statt.

Dabei hat die große Koalition noch nicht einmal das erledigt, was sie sich selbst vorgenommen hat. Der Niedriglohn-Sektor harrt weiter einer überfälligen Neuordnung. Bei der angepeilten Pflegereform knirscht es vernehmlich. Und auch der Streit um die Privatisierung der Bahn ist noch nicht ausgestanden. Ob die große Koalition die Kraft hat, diesen Pro-blemberg in ihrer politischen Restlaufzeit abzutragen, darf bezweifelt werden. Zum einen sind die Zeiten der roten Teppiche vorbei, auf dem Merkel virtuos die große Außenpolitikerin gab - und so manchen innenpolitischen Konflikt damit vergessen machte. Zum anderen rücken die wichtigen Landtagwahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg immer näher. Da wiegt parteipolitische Abgrenzung stärker als großkoalitionäre Harmonie.

Noch kann sich Merkel auf die gute Konjunktur verlassen. Durch den wirtschaftlichen Fahrtwind wirken zahlreiche Haushaltsprobleme der Vergangenheit wie weggeblasen. Aber das muss nicht so bleiben. Der Zusammenbruch des US-Immobilien-Kreditmarkts könnte auch von einem weltweiten Abschwung künden. In einem solchen Fall würde der fragile Zustand der großen Koalition samt ihren Versäumnissen sofort offen zutage treten. So hat der Aufstieg in lichte Höhe für Angela Merkel auch eine Schattenseite: Die Gefahr, abzustürzen, nimmt zu.

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