Krieg, Lügen und Videos

"Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann." Wenn das Wort des Malers Francis Picabia zutrifft, sitzen in Washington und Bagdad ausgesprochene Quadratschädel. George W. Bush und Saddam Hussein denken offenkundig eindimensional, auf ein Ziel fixiert; sie sind beratungsresistent und nicht bereit, eine andere Wahrheit als die eigene zuzulassen. Der Diktator aus dem Zweistromland muss weg, egal wie, scheint des Amerikaners ureigenster Antrieb. Der Weltmacht trotzen, koste es, was es wolle, der Impuls des Irakers. So stürmen beide blindwütig wie wilde Stiere aufeinander los. Der Zusammenprall steht unmittelbar bevor, die Auswirkungen des Crashs sind nicht abzusehen. Hunderttausende Tote? Politische Erschütterungen im gesamten Nahen Osten? Vergeltungsanschläge von Islam-Terroristen in westlichen Ländern? Richtig: Saddam ist ein fürchterlicher Gewaltherrscher, brutaler Mörder des eigenen Volkes. Und die Welt würde mit dem Großteil der geknechteten Iraker aufatmen, wäre sie ihn los. Doch ebenso richtig ist: Bush biegt die Fakten zurecht, um einen Krieg zu rechtfertigen. Aus moralischer Überzeugung. Vor allem aber, wie Globalisierungsgegner glauben, um den Zugriff auf gigantische Ölreserven zu sichern und die Welt unter dem Diktat der USA neu zu ordnen. Der eine unterdrückt seine Untertanen, um seine Macht zu erhalten, der andere manipuliert offenbar Meinungen, um seine Macht auszudehnen. Hat der Irak massenhaft Giftgas versteckt? Es gibt gute Gründe, das zu vermuten - aber keine schlagkräftigen Beweise. Hat der Irak an der Atombombe gebastelt? Wahrscheinlich - aber nicht bewiesen. Unterstützt der Irak global operierende Terroristen vom Schlag eines Osama bin Laden? Anzunehmen - aber nicht unmittelbar belegt. So gut wie sicher ist dagegen, dass die Bush-Administration Beweise gefälscht hat, um zu beweisen, was möglicherweise nicht beweisbar ist. Krieg, Lügen und Videos - sobald der Sturm über der Wüste losbricht, beginnt auch die Propaganda-Schlacht erst richtig. Saddam weiß, dass seine 80er-Jahre-Armee militärisch chancenlos ist gegen Super-Hornet-Kampfjets, elektromagnetische Bomben und lasergesteuerte Präzisionswaffen. Der Diktator will auf den Overkill mit einer besonders perfiden Taktik antworten - und der Welt möglichst viele Tote präsentieren. Kinder und Frauen, die er bewusst opfert und zu Märtyrern verklärt. Im Irak sterben die Dummen (Saddams Gefolgsleute, die freiwillig in den Krieg ziehen) und die Armen (weil sie sich kein Ticket ins Ausland leisten können). Je mehr Bilder von zerfetzten Leibern weltweit über die Fernsehschirme flimmern, desto mehr wächst der Druck auf den Kriegsherrn Bush, das Töten zu beenden. Saddams perverse Strategie zielt darauf, die Friedensbewegung in den USA und in Europa zu instrumentalisieren und ein zweites Vietnam zu provozieren. Gelingt ihm das, macht die US-Öffentlichkeit ihrem Präsidenten womöglich sehr bald die einfache Rechnung auf: Ein Krieg hat nur ein Ergebnis - zwei Verlierer. p.reinhart@volksfreund.de

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