Kurzsichtig

Die Reform des Betreuungsrechts für Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Dinge selbst zu regeln, war eine der wichtigsten Neuerungen des letzten Jahrzehnts. Das Prinzip "Betreuung statt Entmündigung" hat sich bewährt, die Arbeitsteilung zwischen familiärer, ehrenamtlicher und professioneller Hilfe funktioniert.

Dennoch ist es legitim und notwendig, nach zehn Jahren Bilanz zu ziehen, Schwächen zu analysieren und notwendige Veränderungen vorzunehmen. Das Hauruck-Verfahren, mit dem nun zur Ferienzeit die Änderungen auf den Weg gebracht werden, legt allerdings den Verdacht nahe, dass zumindest die finanziellen Neuregelungen weniger das Wohl der Menschen im Auge haben als die Leere der öffentlichen Kassen. Selbst das wäre zu akzeptieren, ginge es wirklich um effektives öffentliches Sparen. Aber das Vorhaben reiht sich eher in die endlose Serie von Maßnahmen ein, mit denen Kosten nicht gespart, sondern lediglich auf andere Ebenen verlagert werden. Gelingt es den Betreuern auch nur in einem Bruchteil ihrer Fälle, eine Heimunterbringung zu verhindern oder ihren Schützlingen sogar eine eigenständig finanzierte Existenz zu ermöglichen, dann bringt ihre Arbeit weit mehr ein, als sie die öffentliche Hand kostet. Die Sache hat nur einen Haken: Die Betreuungskosten werden über die Justizkassen der Länder finanziert, Sozialhilfe und Heimunterbringung zahlen die Kommunen. Spart man die Betreuung kaputt, stehen die Länderhaushalte trotzdem besser da - die Zeche zahlen, einmal mehr, die Gemeinden. Zum einen über ihre Sozial-Etats, zum anderen über das Personal, das sie irgendwann einstellen müssen, um die Aufgaben der Betreuungsvereine zu übernehmen. Das Prinzip Verschiebebahnhof regiert auch in diesem Fall die Politik. Und das in einem Feld, wo der Bedarf in den nächsten Jahrzehnten angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung zu immer mehr Vereinzelung drastisch steigen wird. Mit derart kurzsichtiger Politik ist letztlich keinem geholfen. d.lintz@volksfreund.de

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