Lafontaine und die Linken

Oskar Lafontaine, die Galionsfigur der neuen Linken, gilt spätestens als links, seit er für die Gruppe der Versprengten, Frustrierten, Idealisten und Postkommunisten als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl antreten will.

Oskar Lafontaine, die Galionsfigur der neuen Linken, gilt spätestens als links, seit er für die Gruppe der Versprengten, Frustrierten, Idealisten und Postkommunisten als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl antreten will. Er besetzt damit ein Feld, das seine Ex-Partei SPD links liegen ließ, wofür sie ja mehrfach die Quittung erhielt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter einem "Linken" ein ideologisch geprägter Mensch verstanden, der sozialistischen und pazifistischen Träumen nachhängt und sich weigert, sein Weltbild ökonomischen Zwängen unterzuordnen. Allerdings trifft diese Kategorisierung nicht immer zu: Bei den Konservativen gelten die CDU-Politiker Heiner Geißler und Norbert Blüm als links, bei der SPD Ottmar Schreiner, Gernot Erler oder Andrea Nahles, die untereinander wiederum stark unterschiedliche Akzentuierungen setzen. Was die so genannten Linken indes grundsätzlich eint, ist das Trachten nach "sozialer Gerechtigkeit". Hätte sich die rot-grüne Bundesregierung in ihren sieben Jahren angestrengten Bemühens mehr an dieser Zielsetzung orientiert, würde sie heute nicht die neue Konkurrenz von links fürchten müssen. Tatsächlich ist dies der schlimmste Vorwurf gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder: Er hat es nicht vermocht, den sozialen Charakter seiner Reformpolitik deutlich zu machen. Er hat die Leute "nicht mitgenommen", wie der Parteifreund Peter Glotz klagt. Der Basta-Kanzler, als reiner Pragmatiker der Macht offenbar unfähig, ein politisches Gesamtkonzept zu entwerfen, hat die Notwendigkeiten globalisierungsbedingter Erneuerung niemals mit den Erfordernissen der Tradition in Einklang bringen können. Deshalb ist er gescheitert. Und deshalb ist der intellektuell stärkere Lafontaine jetzt drauf und dran, der ideologisch entkernten SPD das Wasser abzugraben. Lafontaine und seine neuen Linksfreunde haben also nicht deswegen relativen Erfolg (die Doppelpartei wird von Demoskopen auf bis zu zehn Prozent taxiert), weil sie die besseren Argumente haben, sondern weil Schröder, weil die "vergewaltigte SPD" (Uli Maurer, Ex-Präsidiumsmitglied) die schlechteren oder überhaupt keine Argumente mehr hat. In dieses Vakuum sind der Rhetoriker Lafontaine und sein nicht minder begabter Kollege Gregor Gysi gestoßen, hier tummeln sich jetzt die linken Populisten, die den Leuten weis machen wollen, mehr Schulden und höhere Steuern für Reiche könnten den deutschen Problemberg sprengen. Das Vertrackte an der Sache: Längst nicht alles, was die Linken fordern, ist Humbug. Hartz IV etwa hat gravierende Mängel, ist insbesondere für ältere Betroffene sozial ungerecht. Und die Wohlhabenden in Deutschland zahlen in der Tat nur einen Bruchteil dessen, was ihre Klasse im Kapitalisten-Paradies USA entrichten muss. Warum Schröder auf solche "Essentials" der Linken nicht reagiert hat, bleibt sein Geheimnis. Der Kanzler ist jedenfalls mitverantwortlich für das Erstarken der Linken. Ironie der Geschichte: Der Mann, der Schröder 1998 zum Kanzler gemacht hat und daran gescheitert ist, profitiert nun von Schröders Scheitern. Er tut dies ausgerechnet auf Kosten einer Partei, der er alles zu verdanken hat. Gleichzeitig trägt er aber auch dazu bei, dass sich die SPD notgedrungen wieder mehr nach links entwickelt – und sich damit der neuen Linken annähert. Hinzu kommt: Wenn Schröder im Herbst das Feld räumt, hat Lafontaine sein Feindbild verloren. Auch deshalb ist zu erwarten, dass sich die zerstrittene Linke dereinst vereint und nach einer Phase gesplitteten und fruchtlosen Opponierens wieder Seit’ an Seit’ marschiert. nachrichten.red@volksfreund.de

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