Löchrig wie ein Schweizer Käse

BERLIN. (has) 61 Milliarden Euro weniger für Bund, Länder und Gemeinden - mit dieser dramatischen Zahl endete die Steuerschätzung für das Jahr 2004.

Das Bundesfinanzministerium hoffte gestern, am "Schicksalstag" der Steuerschätzung, noch auf himmlischen Beistand. Ganz oben auf der Terminliste des Ministerium stand nämlich passenderweise die Vorstellung einer besonderen Briefmarke - eine mit dem Konterfei des "Heiligen Bonifatius". Der Glaubensbruder gilt als Begründer des christlichen Abendlandes und als "Apostel der Deutschen". Insofern hat er ein wenig mit dem jetzigen Finanzminister Hans Eichel (SPD) gemein, galt der Hesse in seinem Metier doch einst als der Begründer solider Finanzpolitik, quasi als "Apostel des ausgeglichenen Haushalts". Nur Bonifatius' Glanz ist bis heute nicht verblasst, der von Eichel jedoch schon länger - und gestern half dem Herrn der Löcher und seinen Beamten dann auch kein letztes Stoßgebet mehr. 1250 Jahre ist Bonifatius' Martyrium nun her. Eichels spezielle Form von "Martyrium", seine persönliche Leidensgeschichte hingegen, zieht sich weiter hin. Denn seit der Steuerschätzerkreis in Gotha seine Ergebnisse vorgelegt hat, steht fest: Der Staat muss bis Ende 2007 mit dramatisch hohen Steuerausfällen von 61 Milliarden Euro rechnen. Wohlgemerkt, nicht Eichel allein, sondern auch Länder und Kommunen sitzen ganz tief im Schlamassel. In diesem Jahr sind es 9,6 Milliarden Euro weniger als noch im November erwartet, 2005 dann sogar 15,2 Milliarden Euro. Auf den Bund entfallen dabei in 2004 8,3 Milliarden, im nächsten Jahr 9,3 Milliarden Euro. Das allein macht den Eichel'schen Haushalt aber noch nicht löchrig wie einen Schweizer Käse. Neben der anhaltenden Wachstumsschwäche und der hohen Arbeitslosigkeit hat der Finanzminister vielmehr schon Geld verplant, das so nicht fließen wird. Mehreinnahmen durch die Tabaksteuererhöhung zum Beispiel wird es nicht im erhofften Ausmaß geben, auch der ansonsten immer satte Bundesbankgewinn fällt weitaus geringer als veranschlagt aus. Einige Luftbuchungen, könnte man also sagen, hat der Minister daher in den Haushalt eingestellt. Stolze 3,6 Milliarden Euro fehlen ihm nur aus "gesamtwirtschaftlichen Gründen und infolge unvorhergesehener Verhaltensänderungen" der Steuerzahler, wie der Schätzerkreis es ungewollt süffisant formulierte. Eichels erste Reaktion auf die Resultate aus Gotha: Mindereinnahmen und Mehrausgaben des Bundes würden sich in 2004 auf zehn bis elf Milliarden Euro addieren. Andere Experten glauben nach wie vor eher an bis zu 18 Milliarden Euro. "Steuererhöhungen oder eine Verschärfung des Sparkurses wären aber falsche Antworten auf diese Entwicklung und Gift für den Aufschwung", lautete Eichels Botschaft. Im Klartext heißt das: Kein weiteres Sparpaket, auch keine Mehrwertsteuererhöhung, in diesem Jahr will er die Löcher durch neue Schulden stopfen, aber dennoch vorerst keinen Nachtragshaushalt vorlegen. Für 2005 glaubt Eichel darüber hinaus weiter an einen verfassungskonformen Etat, dessen Investitionsausgaben höher liegen als die Neuverschuldung. Mit einem Mix aus Einsparungen, Subventionsabbau, Privatisierungserlösen und höheren Schulden sollen dann die Ausfälle kompensiert werden. Die Einhaltung des EU-Stabilitätspaktes hat er allerdings erneut abgeschrieben. Brüssel könnte daher Sanktionen einleiten. Der Minister sucht sein Heil also in Schulden und Beibehaltung seines Sparkurses ohne "hektische Verschärfung", wie er gestern bekundete.

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