Lufthoheit überm Stammtisch

Es herrscht Lufthoheit über den Stammtischen. Der Vorschlag: Es gibt rund fünf Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik.

Es herrscht Lufthoheit über den Stammtischen. Der Vorschlag: Es gibt rund fünf Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik. Demgegenüber arbeiten viele hunderttausend Osteuropäer auf dem Spargelfeld und im Steilhang. Müssten Arbeitslose diese Jobs übernehmen, wäre Landwirten und Staatskassen gleichermaßen geholfen, so die Vorstellung. Doch so einfach ist die Rechnung nicht. Die Arbeit zwischen Weintrauben und Stangenspargel ist ein Knochenjob zu recht niedrigem Lohn, der Fähigkeiten und vor allem Motivation erfordert. Wer da behauptet, das könne jeder, sofern er nur wolle oder unter Druck gesetzt werde, macht es sich sehr einfach. Denn Zwang hat sich bislang nicht als probates Mittel erwiesen. Schon unter Bundesarbeitsminister Norbert Blüm wurden zigtausend Arbeitslose auf die Äcker geschickt – mit meist verheerenden Ergebnissen für Menschen wie Betriebe. Wer es nämlich als Erntehelfer nicht schafft oder nicht will, zwölf Stunden in gebückter Haltung Spargel zu stechen oder morgens um 5 Uhr bei Minustemperaturen Eistrauben zu lesen, ist nicht nur nicht für diese Arbeit geeignet, er schadet dem Landwirt oder Winzer und verschafft diesem einen Wettbewerbsnachteil. Denn sein Produkt muss mit Spargel aus Peru, Erdbeeren aus Spanien und Wein aus Australien konkurrieren. Freiwilligkeit und Kompetenz der Mitarbeiter sind also entscheidend. Denn nur so können gewisse Zweige der Landwirtschaft überhaupt erhalten bleiben. Was auch angesichts der nun teurer zu bezahlenden polnischen Erntehlfer immer wichtiger wird. Die Initiative der Grünen zur Zeitarbeit und Lehrstellenvermittlung ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Es gilt, langfristige Perspektiven anzubieten, die den Wirtschaftszweig Landwirtschaft attraktiv machen. Das Problem der Arbeitslosigkeit als Ganzes kann so aber nicht gelöst werden. Auf dem Weg zu mehr Beschäftigung kann der Einsatz dieser Instrumente nur eine Etappe von vielen sein. s.schwadorf@volksfreund.de

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