Madame Bovarys Witzelsucht

Grundlose Fröhlichkeit bezeichnen Mediziner als...? A: Witzelsucht, B: Spaßsyndrom, C: Scherzfieber, D: Ulkomose. Eine Quizfrage, die zum deutschen Fernsehprogramm passt wie eine gebührenpflichtige Verwarnung wegen überhöhter Geschwindigkeit zu einem Autorennen.

Wer sich durch die Kanäle zappt, den packt der Stumpfsinn. Die Unterhalter: ein niveauloser Haufen von Juxknüppeln, die mit dem Charme eines Keuchhustens peinliche Possen reißen. Die Shows: so prickelnd wie einem frisch gestrichenen Zaun beim Trocknen zuzuschauen. Humorfaktor auf der nach unten offenen Lachsack-Skala: nicht darstellbar. Wie könnte es auch anders sein? Miesmacherei liegt wie Mehltau über der Nation: lahmende Konjunktur, galoppierende Arbeitslosigkeit, bockende Politik. Not und Elend im Land der Dichter, Denker und Jammerlappen. Ablenkung vom traurigen Alltag? Könnte ja zumindest die Glotze liefern! Doch Einschaltquoten diktieren das Programm, und das Orchester dirigiert den Dirigenten. Gedankenblitze inmitten der seichten Dauerberieselung? Fehlanzeige. Nur manchmal, sehr manchmal verbreitet das Fernsehen grundlose Fröhlichkeit. So wie das Prominenten-Spezial von "Wer wird Millionär?" - zum Schreien komisch dank Alice Schwarzer. Welch' ein Auftritt: Die Heroine des Feminismus ringt den altklugen Bildschirmliebling Günther Jauch nieder. Der Meister findet seine Meisterin, und am Ende stehen beiden die Haare zu Berge. Wo ansonsten ahnungslose Schlauberger im gleißenden Scheinwerferlicht schwitzen, wo sich Quälix Jauch müht, stockenden Stotterern die Wissens-Würmer aus der Nase zu ziehen, wo sich Menschen wie du und ich auf dem heißen Stuhl winden und womöglich der Lächerlichkeit preisgeben (immer die "Bild"-Schlagzeile vor Augen: "Deutschlands dümmster Lehrer!"), wo sich kleine Dramen und große Komödien abspielen - da steigert sich Alice Schwarzer hinein in die Rolle ihres Lebens: hibbelig, unbeugsam, (fast) unbelehrbar, aber immer locker und fröhlich, kein bisschen verbohrt. Ihre Wortkaskaden rauschen wie die Niagara-Fälle auf den armen Herrn Jauch hernieder, sie juchzt, sie barmt, sie tanzt um das Gestühl. Und erläutert ganz nebenbei einige Lehrsätze der weiblichen Emanzipation: warum Männer breite Schlipse tragen und Frauen flache Schuhe (die einen ob des phallischen Eindrucks, den zu schinden sie gedenken, ha!, die anderen, damit sie schneller laufen und die vom angeblich starken Geschlecht dominierte Welt erobern können). Alice im Wunderland: In dieser köstlichen Fernsehstunde ist sie Madame Bovary. Jene aufmüpfige, abenteuerlustige, aufgekratzte Romanheldin Flauberts: Emma - so heißt das von der Journalistin Schwarzer gegründete Zentralorgan der Frauenbewegung. Viele Deutsche sähen Günther Jauch gern als Bundeskanzler, heißt es. Also gut, aber nur, wenn Alice Schwarzer den Job der Gute-Laune-Ministerin übernimmt. Damit zumindest hin und wieder ein Hauch von grundloser Fröhlichkeit den Muff vertreibt und ein Lächeln durch das Land geht. Oder, um im Quizjargon zu bleiben: Deutschland wählt Antwort A: Witzelsucht. p.reinhart@volksfreund.de

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