Mandat oder Pöstchen?

Der Mann, der geglaubt hat, sein CDU-Bundestagsmandat mit seinem neuen Job als hochrangiger Industriefunktionär ohne jegliche Interessenkonflikte vereinbaren zu können, befindet sich anscheinend auf dem geordneten Rückzug.

Norbert Röttgen täte gut daran. Der Fall hat ja nicht nur etwas mit Lobbyismus in seiner reinsten Form zu tun, sondern auch mit parlamentarischer Hygiene. Eines darf man aber nicht vergessen: Das grundsätzliche Problem ist damit nicht aus der Welt. Röttgen ist kein Einzelfall. Wer sich nur auf ihn konzentriert, ist ein Träumer. Und man könnte auch ganz anders argumentieren: Bei dem Rheinländer weiß man künftig wenigstens, wo er steht, für wen er spricht, für wen er gegen gutes Geld vielleicht sogar Politik macht. Die kritische Auseinandersetzung mit einem wie Röttgen wäre spielend, viel einfacher als mit all den versteckten Lobbyisten im Parlament, die ihre diversen Mitgliedschaften zwar veröffentlichen, von denen man aber nie genau weiß, wessen Liedchen sie hier und da mal kräftiger pfeifen als üblich. Davon gibt es genug; der Gesundheitsbereich lässt grüßen. Um es klar zu sagen: Röttgen hat einen grandiosen Fehler gemacht. Und wenn man Verständnis für ihn aufbringt, führt man die Regeln der parlamentarischen Demokratie ad absurdum. Man kapituliert sogar vor den Lobbymächten. Das darf nicht sein. Die Ausübung des Mandats hat im Mittelpunkt zu stehen, sagt die Geschäftsordnung des Parlaments. Der Bundestag hat also Regeln, sicher, doch diese Regeln ziehen eben keine wirklichen Grenzen. Das ist das entscheidende Problem. Im Gegenteil, es wird dem Selbstverständnis des Abgeordneten überlassen, wie er den rechtlichen Rahmen seines Mandates auszufüllen gedenkt. Und viele glauben fälschlicherweise, dass unzählige Beraterjobs, Verwaltungsrats- und Aufsichtsratsfunktionen dazugehören. Das muss nicht unbedingt mit Raffgier zu tun haben, es wäre wohl zu billig, diesen Vorwurf zu erheben. Es hat oft etwas mit Selbstüberschätzung und Arroganz zu tun. Nur dürfen sich die Abgeordneten dann auch nicht wundern, wenn der Bürger das Vertrauen in das Parlament zunehmend verliert. Die quälenden Debatten um die Nebenjobs, um die Diätenerhöhungen und die Pensionen zeigen jedenfalls, dass die Selbstregulierungskraft des Bundestages mehr als begrenzt ist. Die immer wiederkehrende Forderung, solche Fragen einer externen Experten-Kommission zu überlassen, ist richtig. Klar ist auch: Man darf den Job nicht idealisieren und die moralischen Maßstäbe für Abgeordnete ins Unermessliche erheben. Trotzdem: Wer sich für das Berufspolitikertum entscheidet, sollte sich auch so verhalten. Jeder darf Mitglied sein, wo er will. Doch wenn jemand nebenher hauptberuflich für einen Lobbyverband arbeitet, dessen Hauptziel es ist, Lobbyismus zu betreiben, ist das eben ein gehöriger Unterschied. Und wenn Gewerkschafter im Parlament gleichzeitig einen hohen Funktionärsposten innehaben, ist das genauso verwerflich. Dann muss man sich eben entscheiden - Mandat oder Pöstchen. Beides darf nicht gehen. nachrichten.red@volksfreund.de

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