Mehr Mut

Alle glauben, sie hätten das Allheilmittel gefunden, das kranke Gesundheitssystem zu kurieren und seine unbestrittene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Es ist ein Wettbewerb ausgebrochen um die absurdeste Idee zur Reform des Gesundheitswesens. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein mehr oder weniger vernünftiger Vorschlag auf den Tisch kommt. Doch die angeblichen Patentrezepte haben keine Chancen auf Umsetzung. Kaum sind sie veröffentlicht, sind sie auch schon das Papier nicht mehr wert, auf dem sie stehen. Ein Vorschlag wird mit dem nächsten konterkariert.

Selbst die Chef-Reformerin, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die bislang nicht gerade mit revolutionären Ideen glänzte, überschlägt sich derzeit mit Vorschlägen. Täglich wird eine neue Sau durchs Dorf gejagt, doch gefangen wird sie nicht. Die Ideen verpuffen, und niemand weiß derzeit, wie die Gesundheitsreform wirklich aussehen soll. Nur so viel steht fest: Die Patienten werden stärker zur Kasse gebeten. Die Eigenbeteiligung und dieEigenverantwortung werden steigen. Ein vernünftiger Vorschlag, auch wenn dadurch die Geldbeutel der Patienten noch stärker belastet werden. Doch die Vollkasko-Mentalität muss ein Ende haben.

In Deutschland ist es einfach chic, über alle nötigen Reformen erst einmal zu jammern. Zusätzliche Belastungen sind für Kritiker immer ein Beweis für ein Versagen der Politik. Dass darin, wie zum Beispiel beim Gesundheitswesen, auch Chancen liegen, etwa durch größere Wahlmöglichkeiten verschiedener, gleichwertiger Leistungen, wird immer erst weg diskutiert. Statt sachlich über eine notwendige Gesamtreform zu diskutieren, werden immer nur einzelne Punkte in den Mittelpunkt gestellt als Beispiel für eine misslungene Politik. Es wird Zeit, dass nicht über Mosaiksteinchen und ungelegte Eier diskutiert wird, sondern über die komplette Reform. Sie muss nun endlich auf den Tisch.

Für Bürger eines Landes, in dem es selbstverständlich ist, dass jede Krankheit von der Gemeinschaft bezahlt wird, erscheinen die Einführung von Praxisgebühren, höhere Zuzahlungen, das Streichen des Sterbegeldes und die Verringerung des Krankengeldes wie der Untergang des Abendlandes. Doch bei Lichte betrachtet, enthalten die Vorschläge - egal ob von Rürup oder von Schmidt - viele vernünftige Ansätze. Klar ist: Wir müssen uns von vielen Selbstverständlichkeiten verabschieden. Nur wenn der Leistungskatalog deutlich abgespeckt wird, bleibt das deutsche Gesundheitssystem noch eines der leistungsfähigsten der Welt. Und wer sich ernsthaft mit den Ideen der Gesundheitsreform beschäftigt, muss erkennen, dass eben nicht nur die Patienten zur Kasse gebeten werden sollen. Auch die Ärzte und die Pharma-Industrie müssen Federn lassen. Die Vertragsmonopole sollen vernünftigerweise abgeschafft und durch Einzelverträge zwischen Ärzten und Kassen ersetzt werden. Durch die Einführung einer Positivliste soll der Dschungel der Arzneimittelverordnungen stark gelichtet und mehr Transparenz für Ärzte und Patienten geschaffen werden.

Es ist Ulla Schmidt zu wünschen, dass sie mehr Mut und Durchsetzungskraft hat als ihre Vorgänger, und dass ihre Reform nicht wieder von Lobbyisten oder dem Kanzler, der auf Grund einer immer stärker murrenden Basis kalte Füße bekommt, verwässert oder gar ertränkt wird.

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