Mehr Realitätssinn

Im Grunde genommen müsste man froh sein, dass in Sachen Familienpolitik fast jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Zeigt das doch, dass die Politik endlich die Wichtigkeit dieses Themas erkannt hat.

Andererseits offenbaren die ständig neuen Vorschläge und Streitereien die Hilflosigkeit angesichts leerer Kassen. Man will Familien fördern, hat dafür aber eigentlich kein Geld. Was macht man? Man kappt bestehende Förderungen, nimmt es von den Reichen, um es den Armen zu geben, und begibt sich dabei verfassungsrechtlich auf Glatteis. Doch mit einer neuen Sozialneid-Debatte ist den Familien nicht gedient. Zumal der Kinderfreibetrag kein Almosen oder eine Gnadenleistung des Staates ist. Er wurde von den Verfassungsrichtern als Entlastung von Familien für deren finanzielle Schlechterstellung gegenüber Kinderlosen verlangt. Dass damit ein kompliziertes, für den normalen Steuerzahler kaum noch zu durchschauendes Konstrukt geschaffen wurde, war sicherlich nicht im Sinne der Karlsruher Richter. Genauso wenig wie die Bevorzugung von Besserverdienern. Denn das Nebeneinander von Kindergeld und Freibetrag schafft unsinnige Effekte: Je mehr eine Familie verdient, desto mehr sind ihre Kinder dem Staat wert. Insofern ist es gut, dass, wie auch Familienministerin von der Leyen angekündigt hatte, alle Familienleistungen auf den Prüfstand kommen. Doch bitte nicht nach dem Gießkannen-Prinzip. Denn gut zu verdienen heißt ja nicht automatisch, reich zu sein, wie es offenbar die SPD auffasst. Sie greift mit ihrem Vorschlag nämlich gerade die an, die es sich noch leisten können, mehrere Kinder zu haben. Doch das sind sicherlich nicht die, die sich zu den Spitzenverdienern zählen. Es sind die, die nach Erhöhung der Mehrwertsteuer und Kürzung der Pendlerpauschale zu den Geschröpften zählen. Das zeigt mal wieder, wie realitätsfern die Vorschläge der Politik oft sind. b.wientjes@volksfreund.de

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