Merkel muss führen!

Bis vor Kurzem hatten die verbalen Rempeleien in der großen Koalition noch etwas Belustigendes. Da wurde die Union von der SPD bezichtigt, ihre Zeit auf dem Sonnendeck zu vertrödeln, anstatt zusammen mit den Genossen im Maschinenraum zu malochen.

Aber irgendwie war Schwarz ja auch nur ein ganz dunkles Rot. Inzwischen sprechen sich beide Lager wahlweise die Reform- oder Regierungsfähigkeit ab. Und man ahnt, dass mehr dahinterstecken könnte als harmlose Frotzeleien. Tatsächlich hat sich Unmut angestaut. Nur noch knapp ein Drittel der Deutschen ist mit der Regierungsarbeit zufrieden. Teile der Union stöhnen über die Wandlung Angela Merkels von einer radikalen zur engelsgeduldigen Frontfrau. Die SPD fürchtet um ihre Rolle als Schutzpatron der kleinen Leute. Und dazwischen beschwichtigen die Oberen beider Parteien, dass man auf gutem Wege sei und das schwarz-rote Wirken nicht schlecht geredet werden dürfe. So wie jetzt Franz Müntefering. Sein Appell zur großkoalitionären Selbstdisziplin war dem SPD-Vizekanzler und Arbeitsminister sogar ein Auftritt vor der Bundespressekonferenz wert. Münteferings Kritik an der Aufmüpfigkeit schwarzer Landesfürsten in Sachen Hartz IV wäre eigentlich das Geschäft der Kanzlerin. Doch Merkel belässt es bei wachsweichen Ermahnungen. Unterstellt, die Kanzlerin will den schwarz-roten Laden genauso zusammenhalten wie der Vizekanzler, dann ist sie offenkundig zu schwach, um den taktischen Spielchen der Stoibers und Wulfs Einhalt zu gebieten. Genau das trifft die Genossen jedoch an einer besonders verwundbaren Stelle. Alles Gerede über schärfere Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose schwächt das soziale Profil der SPD. Und es stärkt die Linkspartei, die ihre stattliche parlamentarische Präsenz dem Volkszorn gegen jene Arbeitsmarktreform verdankt. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass das schon sicher geglaubte Vertrauensverhältnis am Berliner Kabinettstisch in Misstrauen umzuschlagen droht. Dabei steht die große Koalition erst am Beginn ihrer Herausforderungen. Das politische Geplänkel bei der Reichensteuer oder dem Antidiskriminierungsgesetz mutet harmlos an, bedenkt man die dicken Brocken der kommenden Wochen und Monate: Gesundheitsreform, Unternehmenssteuerreform, Föderalismusreform, Bundeshaushalt 2007. Jedes Vorhaben für sich genommen hat die Kraft zum politischen Spaltpilz. Allein bei der Gesundheitsreform, die im Kern schon Ende Juni stehen soll, liegt das künftige Finanzierungskonzept noch völlig im Dunkeln. Auch der Streit über das Schicksal von Hartz IV ist bestenfalls nur vertagt. Müntefering hat bereits angedeutet, dass mit den Arbeitsgemeinschaften der Arbeits- und Sozialämter kein Blumentopf zu gewinnen ist, um Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot zu bringen. Das organisatorische Fehlgebilde war jedoch der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Union und SPD vor drei Jahren einigen konnten. Fazit: Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen wird die große Koalition kein Erfolg werden. Dazu muss die Kanzlerin endlich führen. Wie wäre es mit einem neuen Regierungsstil, Frau Merkel?nachrichten.red @volksfreund.de

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