Milchmädchen-Rechnungen

Wo kaufen die meisten Bauern ihre Butter? Bei Aldi oder Lidl. Und warum tun sie das? Weil deutsche Markenbutter dort im Zweifel erheblich billiger ist als anderswo. Und warum? Weil die führenden Lebensmitteldiscounter konsequent die alte Kaufmannsweisheit beherzigen, wonach im Einkauf der Gewinn liegt.

Von dieser Strategie der Marktführer profitieren Jahr für Jahr Millionen Kunden. Und wer glaubt, ein Großteil der Bevölkerung sei bereit, mehr zu bezahlen, irrt gewaltig. Die Fakten sprechen eindeutig dagegen. Daran ändern auch zarte Pflänzchen bei Eigenvermarktung oder Biolandbau nichts. Um es mit dem Worten eines regionalen Schlachthausbetreibers drastisch, aber treffend auszudrücken: "Die Deutschen fressen nur das Billigste." Sicherlich nicht alle, aber nach wie vor die meisten. Dass die Konzerne ihre Marktmacht konsequent ausspielen, ist Fakt, aber die Frage, wer denn die Milch zu Dumpingpreisen an die Konzerne liefert, ist dabei durchaus nicht ohne Bedeutung. Es sind die Molkereien. Und in deren Aufsichtsgremien sitzen Landwirte und bestimmen mit über Auszahlungspreise und Unternehmensausrichtung. Es geht bei diesem Thema also nicht nur um Marktmacht, sondern auch um Solidarität innerhalb des eigenen Berufsstandes. Der einzelne Bauer hat keine Chance, sich zu wehren, die einzelne Molkerei auch nicht unbedingt, aber die deutsche Milchwirtschaft insgesamt durchaus. Aber es geht auch um Molkereistrukturen. Längst nicht jedes Unternehmen hat gleich große Probleme. Wer fast ausschließlich Milch für die Großen der Lebensmittelbranche herstellt, hat bei anhaltendem Preisverfall eben wesentlich schlechtere Karten als Firmen, die in verschiedenen Marktsegmenten tätig sind. Auch in diesem Punkt wäre ehrliches Nachdenken durchaus angezeigt. Das alles ändert freilich nichts an dem Dilemma, in dem die heimischen Bauern insgesamt stecken. Eine aberwitzige Bürokratie, die den Landwirten massiv schadet und den Verbrauchern nichts bringt und Erzeugerpreise, die in vielen Bereichen die Herstellungskosten nicht mehr decken. Eine Situation, die die Allgemeinheit mittel- und langfristig teuer zu stehen kommen wird. Es geht nämlich nicht nur um die Existenzen mehrerer tausend Bauernfamilien, es geht um Landflucht und um Landschaft, um Infrastruktur und um Fremdenverkehr, so ziemlich der einzige Wirtschaftszweig mit großen Wachstumschancen in ländlichen Räumen. Was wird aus Regionen wie Eifel, Hunsrück oder Westerwald fast ohne Bauern? Ein paar Riesenhöfe blieben sicher, aber kann's das gewesen sein? Das alles zielt weit über das immer wieder einseitig diskutierte Problem der Agrarsubventionen hinaus. Was sind dieser Gesellschaft Nahrung und Landschaft wert? Um eine ehrlich Antwort auf diese Fragen geht es letztlich im Kern. Deshalb darf dieses Problem auch niemanden kalt lassen. Die Diskussion über denkbare Lösungen sollte allerdings von allen Seiten ehrlich geführt werden. Denn Milchmädchen-Rechnungen haben noch nie gestimmt. Die Ergebnisse waren entsprechend. d.schickerath@volksfreund.de

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