Neue Reformbaustelle "Kinderzuschlag"

BERLIN. (vet) Der vor eineinhalb Jahren zeitgleich mit dem Arbeitslosengeld II eingeführte Kinderzuschlag für Niedrigverdiener soll ebenfalls zur Reformbaustelle werden. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) kündigte gestern Änderungen bei der Sozialleistung an, um mehr finanzschwache Familien in den Zuschuss einzubeziehen.

Die Voraussetzungen müssten "günstiger" gefasst und das Verfahren vereinfacht werden, so die Ministerin. Im Kern geht es um eklatante Konstruktionsfehler im Gesetz, die viele Geringverdiener-Familien benachteiligen und den bürokratischen Aufwand überproportional erhöhen. Das Grundanliegen der Förderung ist unstrittig: Monatlich bis zu 140 Euro werden an Eltern gezahlt, die zwar mit ihren eigenen Einkünften den eigenen Unterhalten bestreiten können, aber nicht den ihrer Kinder. In solchen Fällen greift der Kinderzuschlag. Damit soll verhindert werden, dass bestimmte Familien ihren Verdienst mit Hartz-IV-Leistungen, also dem Arbeitslosengeld II, aufstocken müssen. Nach der Expertise des Paritätisches Wohlfahrtsverbandes haben sich jedoch schwere konzeptionelle Mängel in das Gesetz eingeschlichen. Um die Staatskasse zu schonen, wurde der Einkommenskorridor der Anspruchsberechtigten "sehr schmal" gefasst. Zugleich hat der Gesetzgeber offenbar die Wechselwirkungen zwischen dem Kinderzuschlag und anderen Sozialleistungen wie etwa Wohngeld oder Unterhaltsvorschuss unterschätzt. "In vielen Fällen führt dies zu Leistungsverschlechterungen im Vergleich zum SGB II", resümiert die Studie. Soll heißen: Zahlreiche Niedrigverdiener mit Kindern stünden finanziell besser da, wenn es für sie ergänzendes Arbeitslosengeld II gäbe statt Kinderzuschlag. Bei einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern summiert sich der fiktive Verlust auf bis zu 75 Euro. Im umgekehrten Fall können Familien mit mehreren jüngeren Kindern durch den Zuschlag aber auch bis zu 276 Euro über dem Hartz-IV-Niveau liegen. "Damit zeigt sich, dass das Gesetz ohne jede Systematik ist", sagte der Autor der Studie, Rudolf Martens, unserer Zeitung. Ein weiterer Effekt der Misere: Weil ohne komplizierte Berechnungen nicht feststellbar ist, ob und in welcher Höhe ein Anspruch vorliegt, lastet auf den Familienkassen ein riesiger bürokratischer Aufwand. Von den 102 Millionen Euro, die der Kinderzuschlag im Vorjahr kostete, gingen 18 Prozent für Verwaltungsaufwendungen ab. Die Familienexpertin der Liberalen, Ina Lenke, ist skeptisch, ob von der Leyens Korrektur-Ankündigungen für Abhilfe sorgen. "Ein halbes Jahr hat die Ministerin gebraucht. Nun schürt sie Erwartungen, die wie beim Elterngeld zur Enttäuschung werden können", vermutet sie.

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