Nicht nur vom Brot allein

Ein Mann aus dem Land Luthers auf dem Papstthron - das hatte es 500 Jahre lang nicht mehr gegeben. Als Joseph Kardinal Ratzinger das älteste Amt auf Erden übernahm und als Benedikt XVI. zum Stellvertreter Christi aufstieg, blieb der Beifall weltweit verhalten.

Was denn, ausgerechnet der? Ein knallkonservativer Kurienmann, kompromissloser Glaubenshüter, Wächter der reinen Lehre. Und schon so alt! Seine Kritiker reagierten wie eine Meute von Pawlows Laborhunden; deren Speichel floss bereits, wenn der Professor nur mit dem Fressnapf klapperte. Sie kläfften los und beschimpften ihn als "Großinquisitor", "Panzerkardinal" und "Rottweiler Gottes" - mithin als grandiose Fehlbesetzung. Die Wohlwollenden sagten, Ratzinger sei ein Übergangspapst, der ideale Nachlassverwalter von Johannes Paul II., dessen engster Berater er lange war. Ein eher kühler Typ. Kein Verkünder, kein Verkäufer, sicher kein "Pontifex der Herzen" wie sein charismatischer Vorgänger, der viel Spektakel machte, um die katholische Lehre um den Globus zu tragen. Ein Jahr danach: Benedikt hat viele Bedenkenträger positiv überrascht. Er ist anders. Und, o Wunder: Er kommt an beim Kirchenvolk. Erst recht seit dem Weltjugendtag in Köln. War das größte Glaubensfest der Nachkriegszeit gar der Ausgangspunkt einer Renaissance des Religiösen im säkularisierten Deutschland, wie manche meinen? Am Anfang war das Wort. "Wir sind Papst", psalmodierte die "Bild"-Zeitung und gab in medialer Missionarsstellung den Takt vor. Und siehe da: Benedikt, der trockene Intellektuelle, ist plötzlich "Kult", insbesondere bei der Jugend. Kirchenleute sprechen blumig von einer "generellen Anhebung des religiösen Grundwasserpegels". Ob damit der Katholizismus gemeint ist? Ungebrochen ist jedenfalls "der Menschen Sinn und Geschmack fürs Unendliche", wie es einst der Philosoph Schleiermacher ausdrückte. Im Neusprech unserer Tage: die Sehnsucht nach einem Gegenprogramm zum Lärm der aktuellen Sinnkrise, nach einer Alternative zur Spaßgesellschaft. Insofern trifft der deutsche Papst den Zeitgeist. Er tritt auf als Sinnstifter im Meer der Beliebigkeit und als Garant moralischer Standards, die völlig aus der Mode schienen. Er kämpft gegen den Irrglauben, dass der Mensch vom Brot allein lebe. Er predigt Werte und Tugenden wie Liebe und Verantwortung - und entspricht damit dem Hang vieler Suchender nach schlichten Wahrheiten in Zeiten immer neuer Unübersichtlichkeiten. Von Benedikt sind keine Impulse der Erneuerung zu erwarten. Im Gegenteil: Er führt die erzkonservative Linie seines Vorgängers fort: Pille und Kondome sind des Teufels, das gemeinsame Abendmahl mit Protestanten tabu, Frauen als Priester undenkbar. Wenig sagte er bislang zu drängenden Gegenwartsfragen wie dem globalen Kampf der Kulturen oder der Gentechnologie. Er setzt auf die christliche Botschaft. Keine Experimente. Weiter so. Das ist seine Mission. Nach dem "Jahrtausendpapst" Wojtyla sei die Zeit noch nicht reif für einen großen Reformator auf dem Stuhl Petri, sagen Vatikan-Kenner. Und doch: Seit Martin Luther hat wohl kein Deutscher die Kirche so geprägt wie Ratzinger. Das gilt für seine Ära als Präfekt der Glaubenskongregation. Und erst recht, seit er Papst Benedikt XVI. ist. p.reinhart@volksfreund.de

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