Nicht schlechter. Anders.

Alle Jahre wieder, wenn die Silvester-Raketen in den Nachthimmel zischen, heißt es: alles auf Anfang, gute Vorsätze fassen - und viel Glück! Wie geht es weiter? Was steht uns bevor?

Obgleich die Welt ja, sozusagen, Wohl manchmal etwas mangelhaft,

Wird sie doch in den nächsten Tagen

Vermutlich noch nicht abgeschafft.

(Wilhelm Busch, Zeichner, Maler, Humorist, 1832-1908)

Der Wahnsinn, scheint es, hat Methode. Alle Jahre wieder, wenn die Silvester-Raketen in den Nachthimmel zischen, heißt es: alles auf Anfang, gute Vorsätze fassen - und viel Glück! Wie geht es weiter? Was steht uns bevor? Jeder will wissen, was die Zukunft bringt, keiner weiß es - auch wenn manche so tun, als ob: Hellseher und Propheten, Mahner und Warner, Schwarzmaler und Schreckensmelder, die unablässig verkünden, was demnächst angeblich dräut. Klima-Katastrophe! Kampf der Kulturen! Atom-Terror! Globalisierungsfalle! Killerviren! Energiekrise! Verlust der Werte! Das Ende aller Zeiten!

Dieses Gelall vom Verfall nervt. Vielen Menschen macht das Stakkato an schlechten Nachrichten Angst. Manche glauben gar, dass wir schnurstracks der Apokalypse entgegenwanken.

Ach herrje, herrjemine! Hört nicht auf die Quatscher, Quengler, Querulanten. Vergesst ihre Vorurteile, Mythen, Denkfehler. Die Welt wird nicht schlechter. Sie wird: anders. Das sagt der Bestseller-Autor Matthias Horx, ein bekannter Futurologe. Er hat eine "Anleitung zum Zukunfts-Optimismus" geschrieben. Der Befund: Wandel ja, Untergang nein. Horx meint: Jedes Kind hat gute Aussichten, in einer Welt zu leben, die friedlicher ist als je zuvor. Weil die Demokratie langsam, aber unaufhaltsam vorrückt. Weil immer mehr Menschen lesen und schreiben können. Weil sie aufgeklärter, mündiger werden. Weil sie genug zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopf haben. Nicht immer. Aber immer öfter. Viel ist zu tun. Aber: Die Welt verändert sich, ungeachtet aller Krisen, zum Besseren.

Pardauz, potzblitz und sapperment! Wenn alles sich zum Guten wendet, wie kommt es denn, dass hierzulande so entsetzlich genölt wird? Es gibt keine Kriege. Keine Hungersnöte. Keine todbringenden Seuchen. Warum nur dieses Gejammer auf dem medialen Marktplatz? Die Hälfte der Deutschen sieht die Lage des Planeten pessimistisch, ächzt der "Stern". Ein Jahr der Risiken steht bevor, munkelt das "Handelsblatt". Die Bürger beklagen soziale Kälte und Kinderfeindlichkeit, meldet Horst Opaschowski, ein Guru unter den Trendforschern, der den Puls der Nation seit Jahrzehnten misst.

Allerorten wird der Niedergang der Werte beweint. Ja, es stimmt: Die traditionellen Überzeugungen sind zerbröselt, spätestens, seit die Achtundsechziger den "Muff aus tausend Jahren" weggeblasen haben. Richtig ist auch: Viele Menschen verstehen die moderne Welt nicht mehr. Sie sehnen sich nach Vertrauen, Geborgenheit und menschlicher Wärme. Sie begeben sich auf die Suche nach einem Sinn, sie krempeln ihr Leben um, sie schnüren die Wanderstiefel und pilgern mit Hape Kerkelings Brevier im Gepäck ("Ich bin dann mal weg") nach Santiago de Compostela. Der Weg ist das Ziel.

Einst galten Werte als absolut, ewig, unverrückbar - diktiert von den Göttern, ein für alle Mal. Falsch, sagt der Philosoph Friedrich Nietzsche: Menschen sind es, die Werte setzen, entwerten, umkehren und zerstören. Im 21. Jahrhundert bedient sich jeder Sinnsucher individuell im Regal der Spiritualität, wählt aus, was er gerade braucht - und zimmert daraus eine Lebensphilosophie für das Hier und Jetzt. Ein Potpourri aus Jesus, Dalai Lama, Hape Kerkeling, New Age, Marx und Weiß-nicht-was. Austauschbar. Flüchtig.

Und was ist nun dran am Geraune vom Untergang des Abendlandes? Alles Blödsinn, sagt der Soziologe Helmut Klages: Es gibt keinen allgemeinen Werteverfall - wohl aber einen Wertewandel. Und das ist gut so. Denn: So werden die Menschen fit gemacht für das Leben, für das Überleben in der globalisierten Welt.

Na also, geht doch. Es regiert das Prinzip Hoffnung. Jener geheimnisvolle Antrieb des Homo sapiens, der irgendwo tief in den Genen schlummert. Der schon Urmenschen half, zu überleben. Weitermachen. Nach vorne blicken. Grenzen überschreiten. Neue Kontinente entdecken. Zum Mond fliegen. Mit einem Wort: Fortschritt. Eine Schnecke zwar, die sehr gemächlich vorwärts kriecht. Alles in allem: Sie bewegt sich doch.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort