Oh, du mein Österreich

Manchmal sind die alten Männer in Stockholm immer noch gut für eine Überraschung. Der Name der aufmüpfigen Österreicherin Elfriede Jelinek, seit 30 Jahren eine her- ausragende Figur in der deutschsprachigen Literatur - sehr zum Leidwesen manch eines Österreichers -, wurde im Vorfeld der tuschelfreudigen Jurorenclique nicht ein einziges Mal auch nur erwähnt.

Jetzt also der absolute Ritterschlag für die Frau, deren Werke geprägt sind von "sprachlicher Widerstandshandlung". Selbst wer ihre Bücher nicht mag - dem Urteilsspruch wird er zustimmen müssen, weil er den Nagel, mit dem sie ihren Landsleuten ins Fleisch bohrt, auf den Kopf trifft. Wer den literarischen Heiligenschein aus Stockholm erhält, steht erst einmal jenseits von Gut und Böse. Man darf also auf die Reaktionen aus ihrer Heimat gespannt sein, denn das Lob für die Autorin ist nicht zuletzt auch ein Faustschlag in die Magengrube Österreichs. Es darauf angelegt zu haben, wird man der Jury nicht unterstellen wollen, aber die Männer sind ja schließlich nicht dazu angetreten, schriftstellerisches Wohlverhalten, sondern außergewöhnliche Leistungen zu prämiieren. Womit sie eine gute Entscheidung getroffen haben. Aufatmen dürften die Literaturfedern in den Feuilletons, brauchen sie doch diesmal nicht in Archiv und Internet nach Informationen über weitgehend unbekannte Autoren aus ebenso fernen Ecken der Welt suchen, um ihre Laudatio zu schreiben. Da reicht ein Blick in die private Artikelsammlung, wo sich genügend Schmähreden über die unbequemste Autorin jenseits der Alpen angesammelt haben dürften. Ihrem Image als kantige Künstlerin bleibt sie übrigens treu. Zur Preisverleihung wird sie nicht erscheinen. Sie könne sich im Moment Menschen nicht aussetzen, war ihre erste Reaktion auf die Nachricht aus Schweden. r.nolden@volksfreund.de

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