Orgie der Selbstgerechtigkeit

Geschafft: Er ist zurStrecke gebracht, der Paradiesvogel, der es gewagt hat, so vieles zu sein, was dem Durchschnitts-Deutschen irgendwie unbehaglich ist: Jude, telegen, erfolgreich, eitel, von aggressivem Selbstbewusstsein, kompromisslos, unverschämt.

Michel Friedman hat sich eine Blöße gegeben, und sie wurde eiskalt ausgenutzt von allen, die eine Rechnung offen hatten oder ihr Mütchen kühlen wollten. Unvorstellbar, wer da plötzlich alles moralin-sabbernd in Talkshows, Morgenmagazinen oder Kommentarspalten auftauchte. Es war eine Orgie der Selbstgerechtigkeit, die der Fall des selbstgerechten Moderators hervorrief. Dass ein öffentlich überführter koksender Freier als Repräsentant einer bedeutenden Religionsgemeinschaft sein Amt würde aufgeben müssen, stand nie ernsthaft in Zweifel. Aber die öffentliche Debatte wollte dem Zentralrat der Juden nicht einmal die Zeit lassen, den Sachverhalt zu überprüfen. Sie wollte Friedmanns Kopf auf dem silbernen Tablett. Und sie begnügte sich nicht mit der rationalen Feststellung, dass da einer gehen muss, weil er zwar auch nur getan hat, was viele tun, aber weil er sich eben dabei ertappen ließ - also im Grunde wegen der Peinlichkeit des Vorgangs, nicht wegen des moralischen Gewichts der Verfehlung. Nein, es musste schon die dicke Keule sein, mit der Friedmann auf Normalmaß geprügelt wurde. Es soll sich nur hinterher keiner beschweren, dass es in diesem Land nur noch graue Mäuse gibt. d.lintz@volksfreund.de

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