Oskars Traum vom Olivenbaum

BERLIN. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine hat seiner Partei endgültig den Rücken gekehrt. Am Dienstag erklärte er seinen Austritt.

Als die Agenturen gestern um die Mittagszeit die Eilmeldung verbreiteten, die Berliner SPD-Spitze habe den ehemaligen Hoffnungsträger und Parteivorsitzenden zum Austritt aufgefordert ("Oskar, geh jetzt!"), klingelte in seinem Haus in Wallerfangen-Oberlimberg unaufhörlich das Telefon. Doch Oskar Lafontaine wollte nicht reden. Das hatte er schon am Morgen getan, per Interview in "Bild". Dort sagte er allerdings auch nur, was jeder wusste: "Ich habe immer erklärt, meine formelle Mitgliedschaft ist beendet, wenn die SPD mit der Agenda 2010 und Hartz IV in die Bundestagswahl zieht." Am Nachmittag bestätigte er dem ZDF seinen Entschluss. Oskar Lafontaine verlässt also die Partei, der er seit 1966 angehört. Der Trierische Volksfreund hatte schon am 12. April berichtet, dass Lafontaine diesen Schritt gehen werde. Darüber waren auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Parteichef Franz Müntefering informiert, so dass sich die Überraschung im Willy-Brandt-Haus in Grenzen hielt. So verlässt einer der prominentesten Vertreter der deutschen Sozialdemokratie nach fast 40 Jahren seine Partei. Er kehrt damit auch einem zentralen Stück Lebensinhalt den Rücken, denn die SPD war jene Institution, die den sagenhaften Aufstieg des Kleine-Leute-Sohns aus Dillingen-Pachten zu einem der aufregendsten und umstrittensten Politiker der deutschen Nachkriegszeit ermöglicht hatte. Gemeinsam mit seinem alten Kumpel Reinhard Klimmt hatte Lafontaine Mitte der 60er Jahre die Saar-SPD aufgemischt, erst bei den Jusos, dann bei den Senioren. Sein Aufstieg war rasant, weil seine rhetorische Begabung und sein fixes Denkorgan die Altvorderen bald alt aussehen ließen. Die Karriere war nur noch Formsache: Landtagsabgeordneter, OB von Saarbrücken, Ministerpräsident, Kanzlerkandidat, SPD-Parteivorsitzender, Bundesfinanzminister. Sein Scheitern als Minister war zwangsläufig, weil er die traditionelle Finanz- und Wirtschaftspolitik umstülpen wollte - und dabei von Bundeskanzler Gerhard Schröder ebenso kaltblütig wie geschickt ausgebremst wurde. Die Umstände seines Rücktritts - er hatte in einer Nacht- und Nebelaktion ohne ein Wort der Erklärung alle Ämter niederlegt - hängen ihm bis heute nach. Noch schlimmer als dieses Verhalten wurde indes seine Abrechnung gewertet, die in seinen Rechtfertigungsbüchern und vor allem in Kolumnen für die "Bild" zum Ausdruck kam. Seitdem ist "Oskar" bei den alten Freunden unten durch. Was Lafontaine jetzt genau vorhat, ist unklar. Immer wieder war spekuliert worden, er wolle der neuen Linkspartei WASG beitreten, die ihn seit Monaten umwirbt. Doch der 61-Jährige zögert, weil er sich nicht sicher ist, ob diese Gruppierung enttäuschter Sozialdemokraten eine Zukunft hat. Am liebsten wäre ihm ein Bündnis linker Parteien nach dem Vorbild des italienischen "Olivenbaums", doch kann ein loses Bündnis nach deutschem Wahlrecht nicht für den Bundestag kandidieren. "Ich tue mich mit allen zusammen", sagte er dieser Tage, "die gegen die Heuschrecken kämpfen, die den deutschen Sozialstaat vertilgen". Dem Vernehmen nach hat PDS-Star Gregor Gysi dem Genossen angeboten, als unabhängiger Kandidat für die PDS bei der Bundestagswahl anzutreten. Doch Lafontaine habe abgelehnt. Gleichwohl reizt es den Überzeugungstäter enorm, nochmals aktiv in die Politik einzusteigen. Ein Freund sagt, warum: "Er träumt davon, seinen Widersachern im Bundestag noch einmal ordentlich die Leviten lesen zu können."

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