Panik auf der Titanic

Gerhard Schröders Versuch eines Befreiungsschlags bestätigt auf eindrucksvolle Weise, dass der SPD-Tanker leck geschlagen ist. Allerdings erstaunt es schon, wenn der Kapitän ausgerechnet in dieser schwierigen Situation die Lösung der Probleme darin sieht, das Steuer an einen - durchaus tüchtigen - Offizier weiter zu geben. Es bleibt nämlich die Frage, ob dies die Handlungsoption ist, die den immer lauter werdenden Chor der Kritiker des Kanzlerkurses tatsächlich beruhigen kann und wird. Schröder gibt also den Parteivorsitz an Franz Müntefering ab. Das lässt sich ohne Zweifel als Zeichen der Schwäche interpretieren. Denn hätte sich der Kanzler stark genug gefühlt, neben seinem Regierungsjob die Partei aus der Krise zu führen, dann hätte er das auch getan. Schröder sah sich dazu aber nicht mehr in der Lage. Er ignoriert mit diesem überraschenden Schritt sogar die Einsicht seines Vorbildes Helmut Schmidt, der es nach seinem Sturz als einen seiner größten Fehler bezeichnet hatte, nicht auch den Parteivorsitz angestrebt zu haben. Der Wechsel an der Parteispitze soll ein Signal an die Partei sein, die sich in den vergangenen Wochen mit heftigen Unmutsäußerungen zu Wort gemeldet hatte. Müntefering, der als Allzweckwaffe gilt und von den aktiven Genossen noch am ehesten die Seele der SPD verkörpert, soll die Partei befrieden und in ruhigeres Fahrwasser lenken. Ob dies dem knorrigen Sauerländer gelingen kann, ist zumindest fraglich. Denn nicht der Parteivorsitzende Schröder war oder ist das Problem, sondern der Bundeskanzler Schröder, beziehungsweise dessen Politik und dessen Kabinett. Wenn sich also die Politik nicht ändert, die ganz offenbar vom Volk nicht verstanden oder nicht akzeptiert wird, kann sich nach den Gesetzen der Logik auch die Stimmung nicht ändern. Und die ist in der SPD ausgesprochen schlecht. Schröders Verzicht auf "das schönste Amt neben dem Papst” (Müntefering) offenbart aber noch mehr: Er ist vom souveränen Spitzenmann der Sozialdemokraten zum Getriebenen geworden. Die Dauer-Kritik hat ihn mürbe gemacht. Welche Auswirkungen dieser Umstand für seine Autorität als Regierungschef hat, lässt sich noch nicht absehen. Auf jeden Fall wird er unter Druck bleiben, weil jetzt zwar das Parteiventil geöffnet wurde, der Dampf im Kabinettskessel aber weiter rumort. Erst wenn Schröder auch diesen Deckel lüftet und die Schwachstellen im Minister-Team beseitigt, kann sich ein stabiliserender Faktor entwickeln. Ob Müntefering den schweren Job an der Spitze der Partei stemmen kann, wird sich zeigen. Auf jeden Fall wird das politische Gewicht des Fraktionsvorsitzenden nun weiter wachsen, und wenn er sich noch dazu durchringt, den dynamischen Querkopf Sigmar Gabriel an die Stelle des ebenfalls zurück getretenen Generalsekretärs Olaf Scholz zu setzen, hat er auch eine reelle Chance. Doch alles wird nichts nützen, wenn die Konjunktur nicht stützend beispringt und der wirtschaftliche Horizont aufklart. Ohne diese Hilfe wird die Kanzlerdämmerung ihre Fortsetzung finden. nachrichten.red@volksfreund.de

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