Prinzip: Abgrenzung

BERLIN. Guido Westerwelle ließ gestern die Muskeln spielen. Nur die FDP, meinte der Oberliberale bei der Vorstellung des Wahlprogramms seiner Partei, garantiere in einer möglichen Koalition mit der Union Bürgerrechte und Toleranz.

Mit fester Stimme versprach er, das Ziel der Steuersenkungen in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU "durchzusetzen" - und überhaupt, der andere "Mitbewerber" im Kampf um das bürgerliche Lager sei inhaltlich viel zu "halbherzig". Mal wieder richteten sich viele Attacken gegen den potenziellen Koalitionspartner mit Angela Merkel an der Spitze. Vor drei Jahren war es noch der Spaßwahlkampf, nun betreibt Westerwelle barsche Abgrenzung. Doch auf diese neue Strategie reagiert man bei den C-Parteien inzwischen mit Argwohn. Nicht wenige in der Union fühlen sich an 2002 erinnert. Damals sah sich CSU-Chef Edmund Stoiber am Abend der Bundestagswahl schon als Kanzler, verlor dann doch knapp, weil die FDP nicht die notwendigen Stimmen herbeigeschafft hatte. Ähnlich, meckern Christdemokraten, sei es in diesem Jahr bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewesen, als die schwächelnden Liberalen einen schwarz-gelben Sieg vermiest hätten. Und heute, heißt es sorgenvoll, komme die FDP in der Wählergunst wieder nicht von der Stelle. Was die Union in den wöchentlichen Umfragen verliert, gewinnt die Westerwelle-Partei nicht hinzu - vielmehr dümpelt sie seit Wochen bei sieben Prozent vor sich hin. Selbst die Absage an die von der Union geplante Mehrwertsteuererhöhung zahlte sich nicht in Prozenten aus. Stattdessen sitzen den Wunschkoalitionären eine mögliche linke Mehrheit im Parlament oder die Große Koalition im Nacken. "Für Schwarz-Gelb ist die Ausgangslage gut, aber gewonnen ist noch nichts", räumte Westerwelle gestern ein. Ein weiterer Eindruck verfestigt sich zudem: Je stärker die Linkspartei wird und die Gefahr einer Koalition von Union und SPD wächst, desto lauter tönt die FDP - und zwar in Richtung des möglichen Koalitionspartners. Bei der Union vermutet man dahinter plumpe, aber gefährliche Profilierungsversuche: Aus der CDU-Spitze ist zu hören, dass die FDP sich und der Union mit ihrer "Klientelpolitik" keinen Gefallen tue. Falls der Aufwärtstrend weiter ausbleibt, rechnet man im Konrad-Adenauer-Haus sogar mit einer Zweitstimmen-Kampagne der Liberalen. Mit dem gestern vorgestellten "Deutschlandprogramm 2005" hofft Guido Westerwelle nun auf die Trendwende. Auf 78 Seiten heißt es: "Arbeit hat Vorfahrt" - bei der Union liest sich das ähnlich: "Vorfahrt für Arbeit". Das Papier mit einer "wirtschaftsfreundlichen Politik" (Westerwelle) ist ein Konzentrat der Parteitagsbeschlüsse aus dem Mai und des 500 Seiten starken "Wechsellexikons". Darin plädieren die Liberalen für einen Stufentarif von 15, 25 und 35 Prozent bei der Einkommensteuer, jedem Bürger sollen 7700 Euro pro Jahr steuerfrei bleiben. Insgesamt verspricht die FDP Entlastungen im Umfang von 17 bis 19 Milliarden Euro, die sie durch Subventions- und Bürokratie-Abbau finanzieren will. An Ökosteuer und Solidaritätszuschlag hält sie fest, die Krankenversicherung soll privatisiert und soziale Leistungen in einem Bürgergeld gebündelt werden. Die Bundesagentur für Arbeit will die FDP genauso wie das Ladenschlussgesetz abschaffen, den Kündigungsschutz einschränken und betriebliche Bündnisse erleichtern. "Alles, was Arbeitsplätze kostet, werden wir unterlassen", lautete Westerwelles Fazit. Offen ist, ob die Liberalen dazu die Chance erhalten.

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