Profilierungsversuche

Im CDU-Grundsatzprogramm fehlt ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Es fehlt die Globalisierung und das Internet. Das SPD-Grundsatzprogramm weiß nicht, dass Deutschland wiedervereinigt ist. Es hat zum Antiterrorkampf nichts zu sagen und wenig zur Klimakatastrophe.

So ist das mit Grundsatzprogrammen. Kaum geschrieben, schon Makulatur. Das CDU-Papier ist knapp 12 Jahre alt, dass der SPD etwas über 16 Jahre. Zeit, erwachsen zu werden. Nicht zufällig beginnen die großen Volksparteien jetzt die Debatte über ihre Werte, nicht zufällig wollen beide sie Ende 2007 zum Abschluss geführt haben. Rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl. Grundsatzprogramme treiben wieder zusammen, was auseinander lief: die eigene Identität. Und die leidet in Regierungszeiten immer, ganz besonders in einer großen Koalition. Es ist, so gesehen, ein gutes Zeichen für die neue Regierung, dass CDU und SPD ihr Profil erst einmal auf jeweils eigenem Papier schärfen wollen. Das ist bekanntlich geduldig. Zwei Gefahren lauern auf die neuen Grundsatzprogramme: Erstens die Regierenden. Sie könnten versucht sein zu verhindern, dass sich ihre Parteien vom Kabinettsalltag intellektuell lösen und wirklich Grundsätze formulieren. Das ist nämlich das Schwierige: In ein Programm zum Beispiel hineinzuschreiben, dass die Familie zusammengehört und nicht gleichzeitig an die eigene Abschiebepraxis zu denken. Oder zu formulieren, dass die Menschenrechte immer und überall der Maßstab sind, ohne auf den nächsten Termin bei Putin zu schielen. Zweitens warten Ideologen von der Parteibasis auf ihre Chance. Sie versuchen ihre Formeln in die Papiere zu bringen, um so letztlich Regierungshandeln zu dominieren. Was ohnehin nicht funktioniert. Weder würde ein Begriff wie "Leitkultur" im CDU-Programm Deutschlands Charakter als weltoffenes Land unterlaufen können, noch die vielfache Betonung sozialer Gerechtigkeit bei der SPD den notwendigen Umbau der Sozialsysteme aufhalten. Aber solche Formeln würden bremsen. Am Ende werden die Programme daran zu messen sein, ob sie sich einem wertebasierten Pragmatismus zuwenden. Die Chance ist da. Beide Volksparteien haben sich nämlich weit angenähert. Die aktive internationale Rolle Deutschlands, das europäische Sozialstaatsmodell, das Prinzip Fördern und Fordern, die innere Liberalität, all das ist, bei allen Unterschieden im Detail, weitgehend Gemeingut. Die SPD hat in ihrer Regierungszeit einen schmerzhaften Prozess hin zur Anerkennung der Realitäten durchlaufen; die Union hat am Wahltag erfahren, dass der Neoliberalismus keine Mehrheit hat. Wahlen werden sowieso anders entschieden. Nach dem Führungspersonal, der inneren Geschlossenheit, der Verankerung in der Gesellschaft. Beide Parteien müssen das Erkenntnisniveau, das sie schon haben, eigentlich nur noch aufschreiben und lediglich darauf verzichten, dahinter krampfhaft zurückzufallen. Dann könnten es gute und ehrliche Programme werden, die vielleicht auch länger halten. nachrichten.red@volksfreund.de

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