Prozess-Flut nur Rinnsal?

BERLIN. Der Sturmlauf von Opposition und Verbänden gegen das geplante Antidiskriminierungsgesetz der rot-grünen Koalition zeigt erste Wirkungen. Die SPD trat gestern Befürchtungen einer "Prozess-Flut" entgegen.

Die Bundestagsfraktion schickten gestern erneut ihren zuständigen Experten, Olaf Scholz, sowie zwei Juristen an die Pressefront, um den weit verbreiteten Befürchtungen einer "Prozess-Flut" entgegenzutreten. "Es wird nicht einmal ein Rinnsal sein", prophezeite Arbeitsrecht-Professorin Heide Pfarr von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das umstrittene Gesetz war im Vormonat erstmals im Bundestag behandelt worden. Nach den Plänen der Koalition soll der parlamentarische Hürdenlauf vor der Sommerpause beendet sein. Der unionsdominierte Bundesrat kann das Gesetz verzögern, aber nicht kippen. Ziel der Bestimmungen ist eine Beseitigung von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei die so genannte Beweis-lastumkehr. So muss am Ende beispielsweise ein Arbeitgeber belegen, dass es bei der Vergabe eines Jobs keine Benachteiligung gab. Gelingt das nicht, werden für ihn Schadensersatzzahlungen fällig. Die Präsidentin des Berliner Landesarbeitsgerichts, Karin Aust-Dodenhoff verwies darauf, dass schon die Glaubhaftmachung einer Diskriminierung eine Schranke darstelle. Der Kläger müsse "Tatsachen vorbringen, die für das Gericht plausibel sind". Erst dann habe sich der Beklagte zu erklären. Eine solche Bestimmung ist nach Angaben von Heide Pfarr auch keineswegs neu. Seit 1980 regelt ein spezieller Paragraph im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Schadenersatzansprüche von diskriminierten Frauen und Männern im Arbeitsrecht. Lediglich 112 Prozesse habe es bis heute in diesem Zusammenhang gegeben. Ganze 54 davon seien für den Kläger erfolgreich gewesen. "Dass bloße Behauptungen zur Beweis- lastumkehr führen und Arbeitgeber damit abgezockt werden können, ist durch die Rechtssprechung der Arbeitsgerichte in den letzten 25 Jahren widerlegt worden", resümierte Pfarr. Der SPD-Politiker Olaf Scholz erwartet dann auch "nicht mehr als zwei Handvoll Gerichtsfälle", wenn die neuen Regelungen in Kraft sind. Für die Kritiker ist das keine Beruhigungspille. Zumal der vergleichbare Paragraph im neuen Antidiskriminierungsgesetz neben dem Arbeitsrecht auch andere Rechtsbereiche und Benachteiligungsmerkmale erfasst. Wohnungsunternehmen und Versicherungen rechnen ebenfalls mit vermehrten Prozessfällen. "Scholz verharmlost die bürokratischen Belastungen, die insbesondere auf kleine Unternehmen zukommen", hieß es gestern bei der Aktionsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand. Die Union hat noch eine weitere Schwachstelle in der rot-grünen Argumentation ausgemacht. Der Parlamentarische Geschäftsführer, Peter Ramsauer (CSU), höhnte: "Die Regierungsfraktionen müssen sich schon entscheiden: Sie können nicht gleichzeitig massive Diskriminierungen behaupten und davor Schutz versprechen und ankündigen, es werde ja gar nichts passieren".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort