Randalieren bis in die "Top 10"

PARIS. Ruhe am Tag, Randale in der Nacht: Zwei Franzosen berichten über ihre Einschätzung der Lage in den Trabantenstädten rund um Paris und über den versteckten Rassismus.

In Grigny, einer Trabantenstadt 25 Kilometer südlich von Paris flogen Molotow-Cocktails, Steine, es wurde auf Polizisten geschossen. Schulen und Autos brannten. Es geht den Jugendlichen offenbar nicht nur um Gewalt oder Protest, sondern auch darum, mit ihren Hochhaussiedlungen in die "Top 10" der Medienberichterstattung zu kommen. Das glaubt Jean Riffaud, Vorsitzender einer Gemeinschaft von Einzelhändlern in Grigny: "Sie sind sehr jung, 13, 14 Jahre alt. Es scheint für sie eher ein Spiel statt Realität zu sein, wie auf dem Gameboy. Auch ihre Eltern scheinen die Kontrolle über sie verloren zu haben." Die Medien gingen dazu über, weniger detailliert über die Randale in den Vierteln zu berichten, um die Gewalt nicht noch anzuheizen. Frankreich habe sich getäuscht. Eine gute Integration wie etwa bei den Portugiesen und Italienern sei bei Afrikanern und Arabern fehl- geschlagen. "Es ist eine schwierige Melange aus Arbeitslosigkeit, dem Fehlen von Erziehung und Bildung sowie kriminellem Klima - und dazu die immensen Hochhaussiedlungen", sagt der Geschäftsmann aus Grigny. Hinzu komme der versteckte Rassismus: Bewerbungen mit arabischen oder afrikanischen Namen würden von vielen Arbeitgebern direkt in den Papierkorb geworfen. Auch Immobilieneigentümer wollten keine Verträge etwa mit Farbigen. Das bestätigt der 34-Jährige Selbstständige Imer Hoxha, der in der Pariser Banlieue aufgewachsen ist: "Schwarze und Araber leiden am meisten unter Diskriminierung. Europäer oder Weiße haben es leichter, sich eine Existenz zu schaffen, um die Vororte zu verlassen, die zu Ghettos werden, in denen man ausgeschlossen bleibt." Er glaubt, dass "Gleichheit" in Frankreich überwiegend eine Illusion ist. Imer Hoxha sagt zu den Krawallen: "Das Schlimmste ist, dass die Opfer selbst Arme sind. Ihre Autos brennen." Auch er glaubt, dass die Gewalt für einige ein Spiel ist. Andere wollten einfach nur zerstören. Imer Hoxha kommt selbst aus einer Immigranten-Familie, lebte in den gigantischen Wohnblocks. Er sagt: "Ich hatte das Glück, gut erzogen und gut aufgehoben zu sein. Diese Chance haben viele Jugendliche heute nicht mehr, da sich die familiäre Situation in den vergangenen 20 Jahren sehr geändert hat. Viele Kinder werden von ihren Eltern allein gelassen, weil diese schon Probleme genug damit haben, Essen für die Kinder zu besorgen. Unter diesen Bedingungen ist es schwer, ihnen eine gute Erziehung zu geben." Trotzdem würde er den Jugendlichen raten: "Das Leben ist kurz, man darf keine Zeit verlieren und muss an seinen Zielen beruflicher oder familiärer Art arbeiten. Egal, woher man kommt, wichtig ist, sich weiterzuentwickeln." Imer Hoxha zweifelt am Erfolg der restriktiven Maßnahmen: "Repression ist keine Lösung. Seit Jahren greift die Polizei härter durch und respektiert immer weniger die Rechte des Einzelnen. Ich habe schon oft Beschwerden darüber gehört, wie arrogant die Polizei bei Kontrollen ihre Muskeln spielen lässt. Die Polizei müsste damit beginnen, Brutalität um jeden Preis zu vermeiden und sollte den Individuen mit Respekt und Würde begegnen. Außerdem sollte langfristig unbedingt Zugang zu Arbeit geschaffen werden. Bei der Jobvergabe ist Rassismus heute ein enormes Problem, sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich."

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