Rudi Trapattoni

Was ist bloß in Rudi Völler gefahren, dass er sich vor einem Millionenpublikum an den Bildschirmen so gehen lässt? Ausgerechnet dieser sonst so coole und nervenstarke Teamchef tickte nach dem peinlichen Unentschieden der Nationalmannschaft auf Island völlig aus.

Keine Frage: Bei "Tante Käthe" liegen die Nerven blank. Sein Auftritt im Ferneh-Studio bei Waldemar Hartmann erinnerte stark an jene berühmt-berüchtigte "Flasche leer"-Pressekonferenz des einstigen Bayern-Trainers Giovanni Trapattoni, bei der er sich um Kopf und Kragen redete. Aber im Unterschied zum heutigen italienischen National-Coach, der seinerzeit die eigene Mannschaft ("Struuunz") attackierte, legte sich Völler mit seinen Kritikern an: den Medien und den "Gurus" Netzer, Beckenbauer und Breitner. Da schwang viel Frust mit, der sich nach den peinlichen Vorstellungen des Vize-Weltmeisters in den vergangenen Monaten angesammelt hat. Das mag verständlich sein, doch dürfen Deutschlands wichtigstem Fußball-Lehrer auch in seiner solchen Situation nicht derart die Gäule durchgehen. Diese Überreaktion zeugt von wenig Souveränität in schwierigen Zeiten und birgt zudem die Gefahr, dass sich die Elitekicker einer neuen Ausrede bedienen, so nach dem Motto: Wir haben nicht schlecht gespielt, die Medien haben das Spiel schlecht gemacht. Mittelfristig waren die Erfolge in Japan und Südkorea Gift für den deutschen Fußball. Die Vizeweltmeisterschaft übertünchte die Mittelmäßigkeit, unter der die Nationalmannschaft seit Jahren leidet. Denn auch bei der WM glänzte die Völler-Truppe keineswegs, sondern profitierte von einer sehr glücklichen Auslosung und stolperte mehr schlecht als recht ins Endspiel. Dort wartete mit den Brasilianern der erste wirklich starke Gegner des Turniers - und es setzte prompt eine Niederlage für Kahn & Co. Wie eigentlich immer in den letzten Jahren, wenn es gegen große Fußball-Nationen ging. Gegen Italien vor knapp zwei Wochen, naja, das sah nicht schlecht aus, aber was nutzen einem fünf klare Chancen, wenn man keine Tor schießt? Genau hier liegt die große Schwäche der Mannschaft. Natürlich gibt es einige verletzte Stammspieler, die sind aber ausnahmslos in der Defensive zu Hause. Dem Teamchef steht sein gesamtes Offensiv-Personal zur Verfügung, aber das erarbeitet sich selbst gegen einen Gegner wie Island kaum Chancen - und wenn, werden sie meist kläglich vergeben. Spiele verwalten statt gestalten, könnte man diese Art von Taktik nennen. Immerhin hat man die EM-Qualifikation auch nach dem Grottenkick von Reykjavik immer noch selbst in der Hand. Vielleicht täte es der Fußball-Nation Deutschland aber auch mal gut, bei einem großen Turnier zuschauen zu müssen. Dann könnte man ohne Druck eine neue Mannschaft aufbauen. Und gleichzeitig die wichtige Frage beantworten, ob Völler überhaupt der richtige Mann ist. s. laemmle@volksfreund.de

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