Ruhige Reformhände gefragt

Zieht man von dem gegenwärtigen respektablen Wirtschaftswachstum die externen Faktoren ab, dann bleibt nicht viel an Leistungen der Politik. Die florierende Weltwirtschaft, ein paar Feiertage weniger und die WM 2006 machen das meiste aus.

Und die Anstrengungen der Unternehmen selbst. Die Regierung hat immerhin einen flexibleren Arbeitsmarkt beigesteuert. Es gibt zwar viele Stellschrauben der Politik, doch hat jede für sich keine große Bedeutung. Und sie alle zusammen wirken auch nur, wenn sie in der richtigen Reihenfolge und im richtigen Maß bedient werden. Das bleibt die Aufgabe der großen Koalition auch in diesem Jahr. In der Tarifpolitik, die nicht Sache der Politik ist, wird es dar-auf ankommen, die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu stabilisieren. Das bedeutet höhere Abschlüsse als bisher, aber doch nicht solche, die das Wachstum abwürgen. Auch die Finanzpolitik kann zur Belebung beitragen. Die Unternehmenssteuerreform ist eines der großen Vorhaben der Koalition in 2007, aber warum nicht auch die Vereinfachung des Steuerrechts und die Entlastung der Bürger wieder auf die Tagesordnung setzen? Der Finanzminister ist nicht nur Kassenwart. Es ist ihm nicht verboten, über den Koalitionsvertrag hinaus zu denken. Er muss gerade im Aufschwung sparen, um für die Zukunft Handlungsspielraum zu gewinnen. Also Subventionsabbau. Aber er muss auch dafür sorgen, dass die Kuh zu fressen hat, die Milch liefern soll, die Unternehmen ebenso wie die Konsumenten. Auf eine Initiative Peer Steinbrücks zur langfristigen Modernisierung des deutschen Steuersystems wartet man noch. Auch in der Gesellschafts- und Sozialpolitik ist jetzt das richtige Umfeld für Weichenstellungen in zentralen Punkten: Die Last der Langzeitarbeitslosigkeit, die trotz guter Konjunktur nicht weichen will, muss mit einem Mix aus Anreizen, Druck und staatlicher Beschäftigung gemildert werden. Und es müssen die guten Jahre genutzt werden, um das Land auf die schlechten vorzubereiten, die so sicher kommen wie das nächste Konjunkturtal und die Folgen der demografischen Entwicklung. Bildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Forschung, das bleiben die Hauptaufgaben in diesem Bereich. In dem Streit zwischen Angela Merkel und Kurt Beck über das Ausmaß noch zumutbarer Reformen scheint eine Antwort derzeit die beste: Die ruhige Hand ist tatsächlich gefragt. Beim Reformieren, nicht in der Hosentasche. nachrichten.red@volksfreund.de

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