Schlimmer als das Maut-Chaos

Im Personalpoker zwischen Union und Liberalen geht es längst nicht mehr darum, einen möglichst geeigneten Nachfolger für den scheidenden Bundespräsidenten Johannes Rau ins Berliner Schloss Bellevue zu schicken. Die sich schon seit Wochen hinziehende Kandidaten-Kür ist nur noch ein Machtspiel zwischen den profilierungssüchtigen schwarz-gelben Parteichefs Merkel, Stoiber und Westerwelle. Immerhin: Seit Mittwoch gibt es ein erstes Zwischenergebnis. Mit seiner Schäuble-Verhinderungs-Taktik hat der nicht erst seit der für die Liberalen blamablen Hamburg-Wahl angeschlagene FDP-Vorsitzende einen Punktsieg gelandet. Nun müssen die beiden Unions-Oberhäupter ihrerseits nachlegen, ohne dass dabei der Eindruck entsteht, sie seien vom jeweils anderen über den Tisch gezogen worden. Die schlechteste Ausgangsposition hat zweifelsohne CSU-Chef Edmund Stoiber: Seine Partei hatte den ehemaligen CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble im Vorfeld von Wildbad Kreuth als Rau-Nachfolger ins Gespräch gebracht - und ist damit grandios gescheitert. Möglicherweise zeichnet sich nun das bis gestern eiserne Schweigen der machtbewussten CDU-Vorsitzenden aus: Angela Merkel, die ohnehin am liebsten ihren bayerischen Dauerrivalen ins Präsidentenamt (weg-)gelobt hätte, mag instinktiv geahnt haben, dass der Personalvorschlag Schäuble letztlich scheitern würde. An ihr liegt es jetzt, einen Namen ins Spiel zu bringen, den auch Westerwelle und Stoiber akzeptieren. Gelingt Merkel dies, ist ihre Machtposition an der CDU-Spitze stärker denn je. Patzt sie, kann sich die Partei- und Fraktionsvorsitzende auch ihre Kanzlerkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl abschminken. Fest steht aber auch: Der oder die Kandidat(in), den/die das Trio Merkel/Stoiber/Westerwelle schließlich ins Rennen um die Rau-Nachfolge schicken wird, muss inzwischen nur noch einer Anforderung genügen: kleinster gemeinsamer Nenner. Nicht gerade ein Top-Qualifikationsmerkmal für einen Bewerber um das höchste Amt im Staat. Wer bislang glaubte, das rot-grüne Maut- und Reform-Chaos sei nicht mehr steigerbar, ist eines Besseren belehrt worden. r.seydewitz@volksfreund.de

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