Schönheitspflästerchen

Die Botschaft hört man wohl, allein es fehlt der Glaube: Bis 2010 soll Deutschland in Sachen Kinderfreundlichkeit europäische Spitze sein. Nun gut, es gibt auch Menschen, die glauben, Deutschland würde 2006 Fußball-Weltmeister.

Ziele sind eben manchmal eher ambitioniert als realitätsnah. Aber die Verfasser des "Nationalen Aktionsplans für ein kindergerechtes Deutschland" werden sich nicht an ihrer brillanten Analyse und den hehren Zielen messen lassen müssen, sondern an realen Verbesserungen. Da nützt es wenig, plakativ den Ausbau des Bildungsangebots in Kindertagesstätten zu fordern, während in der Praxis Träger, Kommunen und Erzieherinnen angesichts maroder Finanzen fast schon verzweifelt darum kämpfen, wenigstens die vorhandene Betreuungsqualität zu erhalten. Mehr sprachliche Bildung und Förderung in der Grundschule? Wunderbar. Aber Fakt ist, dass heutzutage Lehrer entscheiden müssen, ob sie die erbärmliche Anzahl von Förderstunden, die ihnen die personelle Besetzung und der Lehrplan einräumen, deutsch-unkundigen Nachzüglern zugute kommen lassen oder unterforderten kleinen Sprach-Talenten. Beides wäre bitter nötig. Meistens reicht es weder für das eine noch für das andere. Aufwachsen ohne Gewalt? Aber ja doch. Vielleicht gelingt es sogar, den Restbestand immer noch prügelnder Eltern vom Sinn gewaltfreier Erziehung zu überzeugen. Aber was nützt das, wenn die Sprösslinge am hellichten Nachmittag via Glotze von grenzdebilen Promis heimgesucht werden, die sich auf mittelalterlichen Burgen gegenseitig das Nasenbein einschlagen und ins Badewasser pinkeln? Oder wenn öffentlich-rechtliche Sender zu kinderkompatiblen Zeiten Werbetrailer mit abgetrennten Körperteilen unters Publikum jagen, damit der Tatort Quote macht? Die Zeiten hierzulande sind nicht so, dass man in den nächsten Jahren mit wachsender Kinderfreundlichkeit rechnen könnte. Das ist natürlich kein Argument gegen einen Aktionsplan, der diese Entwicklung zum Positiven verändern soll. Aber es ist ein Grund, genau hinzusehen, ob die Politiker, die solche Pläne veröffentlichen, nur Schönheitspflästerchen verteilen oder ob sie real etwas ändern. d.lintz@volksfreund.de

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