Seelenretter der SPD

Es war absehbar, dass die Parteien der Großen Koalition sich wieder auseinanderentwickeln würden, je näher Wahlen rücken.

Denn SPD und Union können allenfalls auf Zeit Partner sein und werden keine Freunde mehr. Die Frage war nur, wann und wie das Ende der bisherigen Harmonie eingeläutet werden würde. Die SPD hat diesen Schritt nun in Hamburg getan. Auch, weil ihr Vorsitzender endlich Profil zeigen musste.Die Sozialdemokraten hatten sich im Alltag des Regierens unter Angela Merkel regelrecht verloren. Ihre Seele war nicht mehr erkennbar, ihre Abstrafung für die mutigen Reformen der Agenda 2010 nicht verarbeitet. Man verlor Mitglieder und Umfragen wie Blut aus vielen Wunden. Und machte doch einfach weiter, irgendwie. Kurt Beck hat der Partei Seele und Selbstbewusstsein zurückgegeben, indem er sie wieder auf einen sozialen Kurs orientiert. Es ist kein Zufall, dass er diesen Kurs ohne und teilweise gegen die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder durchsetzte. In Wahlkampfzeiten regiert die Parteizentrale.

Aufschwung für alle, mehr Gerechtigkeit, das ist die große politische Marktlücke der deutschen Politik. Beck hat sie entdeckt. Es ist eine Marktlücke, die von den fleißigen, aber gefühllosen Modernisierern aus allen Parteien hinterlassen worden ist, auch von Agenda-Reformer Gerhard Schröder. Der Stillstand der Realeinkommen, die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, die mangelnde Durchlässigkeit unserer Gesellschaft für Kinder aus unteren Schichten - all das ist bittere Realität, gärt im Volk und braucht endlich politische Antworten. Es ist aber auch eine politische Marktlücke, in der sich die Populisten tummeln, allen voran die der Linkspartei.

Becks Ansatz ist zweifellos differenzierter als der von Lafontaine & Co. Noch ist das kein Linksruck, was in Hamburg geschah, sondern nur eine andere Akzentsetzung. Doch durchgesetzt hat Beck sie mit einem höchst zweifelhaften Punkt: der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I. Der Parteichef propagiert sie, obwohl er es besser weiß und früher vom Gegenteil überzeugt war. Denn gerade dieser Teil der Hartz-Reformen hat Wirkung entfaltet und der Frühverrentung von Älteren einen Riegel vorgeschoben. Es geht um eine "gefühlte" Ungerechtigkeit, nicht um eine wirkliche. Insofern ist Becks Vorgehen an dieser Stelle auch populistisch.

Aus Becks Sicht ist das jedoch der Preis dafür, die SPD wieder auf gleiche Augenhöhe mit der Union zu bringen. Wenn es dabei bleibt, und die Substanz der Reformen in Deutschland nicht weiter angetastet wird, mag das noch tolerierbar sein. Zumal die Kassen derzeit solche kleineren Fehler zulassen. Die Union wird das Spiel mitspielen, schon um Beck sein Thema möglichst schnell wieder wegzunehmen. Unvernünftiges wurde in der Geschichte zu allen Zeiten aus Gründen der politischen Opportunität beschlossen. De facto wurde in Hamburg der Wahlkampf eröffnet, der um wichtige Länder im nächsten Jahr, aber auch schon der um die Macht auf Bundesebene im Jahr 2009. Die zweite Halbzeit der Großen Koalition wird quälend lange dauern.

 Werner Kolhoff.

Werner Kolhoff.

Foto: Iris Maurer
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