Selbstvergewisserung in Hannover

Es gibt in der Großen Koalition den ironischen Spruch: An geraden Tagen machen wir auf Harmonie, an ungeraden Streit. So wie die SPD vor vier Wochen auf ihrem Parteitag in Hamburg unversehens auf Konfrontation zur Union schaltete, so hat die CDU gestern in Hannover ihrerseits kräftige Wahlkampftöne gegen die Genossen angestimmt.

Morgen früh im Kabinett wird wieder einträchtig regiert. Der CDU-Parteitag wirkte in seiner Abgrenzungsstrategie gegenüber der SPD allerdings etwas bemüht. Ganz besonders, als ohne Debatte und einstimmig ein Antrag verabschiedet wurde, der dem Koalitionspartner implizit nichts weniger vorwirft, als Deutschlands Aufschwung und Wohlstand zu gefährden. "Mit uns nicht" sind die einzelnen Absätze überschrieben, in denen steht, was mit der Union alles nicht geht. Das ist eine Art schriftliches "Basta" der Kanzlerin, die das Papier selbst formuliert hat. Es ist schon ungewöhnlich und durchaus ein Zeichen von Unsicherheit, wenn die stärkere der beiden Regierungsparteien meint, sie müsse mitten in der Legislaturperiode derart demonstrativ vor der anderen Regierungspartei warnen. Angela Merkel wollte mit diesem Parteitag manche Unzufriedenheit über ihren moderierenden Regierungsstil auffangen. Die Kanzlerin schuf jedoch nur Zufriedenheit für den Moment. Denn die Worte hier, in Hannover, und die Taten dort, in Berlin, klaffen nun noch weiter auseinander als zuvor. Von einer klaren Linie ist in der CDU derzeit wenig zu spüren. Das neue Grundsatzprogramm bietet allen von allem etwas. Es ist insgesamt liberaler geworden, besonders in der Familien- und Gesellschaftspolitik. Aber auch widersprüchlicher. So gelten die radikalen Leipziger Reformbeschlüsse von 2003 noch irgendwie weiter, irgendwie aber auch nicht. Jedenfalls werden sie nicht mehr laut zitiert, weil sie die Wähler verschrecken. Der Hannoveraner Parteitag ist kaum mehr als eine Wahlkundgebung für die Landesverbände in Hessen, Niedersachsen und Hamburg, die vor Urnengängen stehen, und darüber hinaus noch so etwas wie eine Zwischenstabilisierung für Angela Merkel. Die wirklichen Auseinandersetzungen über Kurs und Ausrichtung der Union werden erst noch geführt werden - 2009, wenn Wahlprogramm und Wahlziele zu formulieren sind. Soll man wieder so marktradikal in den Wahlkampf gehen wie 2005 oder sozialer? Öffnet sich die Union auch einer Zusammenarbeit mit den Grünen, oder bleibt schwarz-gelb ihre einzige Option? Diese Fragen wurden in Hannover nicht beantwortet. nachrichten.red@volksfreund.de

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