Senioren - Exoten der Arbeitswelt

BERLIN. In Deutschland stehen ältere Arbeitnehmer auf dem Abstellgleis. Der Blick über die Grenze zeigt, dass in anderen Ländern Arbeitnehmer über 50 nicht zum alten Eisen gehören.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: In Norwegen und Schweden stehen mehr als zwei Drittel der 55- bis 64-jährigen in einem Beschäftigungsverhältnis. Auch Staaten wie Neuseeland, Japan oder die Schweiz kommen auf eine Quote von über 60 Prozent. Nur in der deutschen Arbeitswelt sind die Senioren eine exotische Spezies. Gerade einmal 38 Prozent von ihnen gehen noch einer regulären Tätigkeit nach. "Es ist ein Skandal, dass in den letzten zehn Jahren infolge von Zwangs- und Frühverrentung die Zahl der Vorruheständler derart angestiegen ist, dass sich die Kosten allein für diese Gruppe auf bald 40 Milliarden Euro jährlich belaufen - wohlgemerkt, zu Lasten der Steuerzahler", schimpft Otto Wulff. Der Chef der Senioren-Union hat der Alterdiskriminierung den Kampf angesagt. Ein juristisches Gutachten im Auftrag der 75 000 Mitglieder zählenden Seniorenorganisation in der CDU soll klären, ob berufsbezogene Höchstaltersgrenzen mit dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung vereinbar sind. Die Arbeit soll im Herbst vorliegen. Eine Klage in Karlsruhe schloss Wulff nicht aus. Die "Zwangsverrentung" müsse fallen. Stattdessen sollten Betroffene selbst bestimmen können, ob sie über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus arbeiten. Zumindest nach dem Rentenrecht wäre eine Fortsetzung der Tätigkeit mit 65 kein Problem. Der Betroffene kann wählen, ob er neben seinem Gehalt auch Rente beziehen will. Verzichtet er darauf, erhöht sich die spätere Zahlung. Pro Mehrarbeitsmonat gibt es einen Rentenzuschlag von 0,5 Prozent. In der Praxis findet dieser Passus kaum Anwendung. In mehr als der Hälfte der deutschen Betriebe sind die über 50-Jährigen außen vor. Dabei gingen Unternehmen davon aus, in wenigen Jahren wegen der demographischen Entwicklung keine qualifizierten Leute mehr zu finden, berichtet Wulff. In bestimmten Bereichen ist der Nachwuchsmangel längst sichtbar. Laut Wulff stehen nicht genügend Schöffen zur Verfügung, um die zwangsweise mit 70 Jahren ausscheidenden Berufskollegen zu ersetzen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ältere Schöffen nicht mehr voll urteilsfähig sind. Kassenärzte verlieren mit 70 ihre Zulassung, obwohl in ländlichen Regionen der neuen Bundesländer ein spürbares Defizit an Medizinern herrscht. Auch will es Wulff nicht in den Kopf, dass sich Gerichtsprozesse verzögern, weil öffentlich bestellte Gutachter höchstens 68 sein dürfen. Paradox sei die Situation bei Professoren. Mit 65 müssten sie ihren Lehrstuhl aufgeben, was auch dazu führe, dass die Betroffenen an US-Universitäten gingen, weil sie dort weiter lehren und forschen dürften. In den USA und in Irland dürfen Personalchefs keine Altersunterschiede machen. In Amerika ist es untersagt, einen Arbeitssuchenden nach dem Alter zu fragen. Von diesem Zustand ist Deutschland Lichtjahre entfernt. Wulff weiß über Stellenanzeigen zu berichten, wonach etwa eine leitende Klinikmitarbeiterin "nicht über 35" sein durfte.

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