Sichtgrenze Tellerrand

Die klägliche Diskussion über die Ausbildungsabgabe kann als Musterbeispiel herhalten für die mangelnde Fähigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft, drängende Probleme gemeinsam zu lösen. Da sind die Münteferings, die nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass der Unfug, den sie vorschlagen, ja hoffentlich nicht zur Umsetzung kommt.

Ein skurriles Argument für ein neues Gesetz. Und da sind die Rogowskis, die ohne Unterlass (und zu Recht) auf die fatalen Folgen für ein bewährtes Ausbildungssystem hinweisen, aber selbst seit Jahren alle Chancen ignorant vergeigt haben, die Angelegenheit mittels eigener Anstrengung zu regeln. Die Konsequenzen eines Wegs ohne Ausbildung von der Schule in die Arbeitslosigkeit sind bekannt. Hier Abhilfe zu schaffen, kann keine Sache alljährlichen Hoffens auf bessere Zeiten sein. Die Ausbildung junger Menschen ist keine Privatsache, sondern Angelegenheit der Gesellschaft. Dass man die Berufsbildung - anders als die schulische Bildung - stark mit der Unternehmenspraxis verzahnt, hat gute und sinnvolle Gründe. Eine Lehre, die weitgehend außerhalb der Betriebe stattfindet, produziert Praxis-untaugliche Arbeitnehmer. Das kann niemand wollen, am allerwenigsten die Wirtschaft. Aber daraus ergeben sich auch Pflichten - ein Begriff, den viele Bosse genau so ungern hören wie ihre Mitarbeiter. Das Vorhandensein einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsplätzen kann nicht dem Zufallsprinzip überlassen bleiben. Bei einem 15-Jährigen, der die gymnasiale Oberstufe besuchen will, käme auch niemand auf die Idee, ihm einfach mitzuteilen, dass es keine Schulplätze gibt - oder nur in 500 Kilometern Entfernung. Kommt man aus diesem Dilemma noch heraus? Vielleicht dann, wenn erstens die Regierung noch mal eine Denkpause einlegt. Und wenn zweitens die Unternehmer, die vorbildlich ausbilden, ihren Kollegen, die Ausbildung vornehmlich als betriebswirtschaftlichen Kostenfaktor betrachten, klarmachen, dass der Tellerrand nicht die Sichtgrenze markieren darf. d.lintz@volksfreund.de

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