Sieg der Angst

Die "Schicksalswahl" in den USA ist entschieden. Der Präsident heißt für weitere vier Jahre George W. Bush. An der Legitimität seines Gesamtsiegs dürfte es angesichts des Vorsprungs von rund dreieinhalb Millionen Stimmen - anders als im Jahr 2000 - diesmal keine Zweifel geben.

Auch im Kongress hält das Bush-Lager weiter in beiden Kammern die Mehrheit. Die Klarheit dieses Erfolges überrascht - und drängt die Frage auf: Was hat angesichts der unzähligen kritischen Ansatzpunkte in der oft radikalen Politik des Texaners zur Niederlage des noch am Wahlabend so siegessicheren demokratischen Herausforderers John Kerry beigetragen? Gerade in Europa dürfte die Tatsache, dass die Mehrheit der US-Bürger nun wiederum auf einen Mann setzt, der autoritär, religiös-sendungsbewusst, bis ins Mark konservativ und keinerlei Grauzonen zulassend regiert hat, für Unverständnis und sogar Entsetzen sorgen. Denn diese Merkmale Bushs hatten das Land nicht nur in zwei sich unversöhnlich gegenüber stehende Lager gespalten, sondern auch die Mehrheit der Weltgemeinschaft vor den Kopf gestoßen. Sind die Amerikaner aus Schaden nicht klug geworden? Die diesmal so stark wie nie zuvor mobilisierte konservative Basis scheint dem Texaner tatsächlich nicht übel zu nehmen, dass er einen Krieg am falschen Platz unter falschen Prämissen geführt hat. Sie toleriert offenbar auch, dass Bush glaubt, die USA vor allem mit einer Art Kanonenboot-Politik sicherer machen zu können, die wiederum das besteRekrutierungsmittel für extremistischen Nachwuchs darstellt. Sieht sie nicht, dass der Präsident den "american way of life” akut gefährdet, indem er das Land in Schulden ertrinken lässt und den Export von Arbeitsplätzen ins Ausland durch Gesetze und Kabinettsmitglieder fördern lässt, deren Mitglieder auch noch unter Verdacht stehen, die Handlanger von Konzernen wie Halliburton zu sein? Profitiert hat Bush zuletzt davon, dass er seinen Widersacher ebenfalls in den Bereich des "Bösen” rückte. Unvergessen werden dabei jene Schmutzkampagnen bleiben, die John Kerry als Landesverräter oder als Kandidaten brandmarkten, den ein Terror-Drahtzieher wie Osama bin Laden gerne im Weißen Haus sehen würde. Bushs Kampagne war von Anfang an auf Furcht und düstere Visionen aufgebaut - ein Konzept, das letztlich Früchte trug. Kerry hingegen, dessen politisches Führungszeugnis als Senator wenig Aussagen zu seiner Eignung als Präsident zuließ, stützte seinen Anspruch auf das Weiße Haus zunächst zu sehr auf seine Vietnam-Heldentaten, die dann in Zweifel gezogen wurden. Erst viel zu spät stellte er die handwerklichen Fehler und politischen Irreführungen Bushs in den Mittelpunkt seiner berechtigten Attacken. Bush wird sich zu einem radikalen Wechsel in der Tonart und seinen politischen Prioritäten durchringen müssen, will er vermeiden, dass die Gräben zwischen Amerika und dem Rest der Welt noch tiefer werden. Doch die Chancen stehen schlecht, dass der Texaner sich besinnt: Bush wie auch sein Vize Dick Cheney haben während ihrer Wahlkampagne gebetsmühlenhaft betont, dass sie keinerlei Grund zu einem Überdenken ihrer Politik sehen. Diplomatisch muss deshalb für die nächsten Jahre eher schwarz gesehen werden - zumal die Bereitschaft der europäischen Regierungen, Risiken für den Republikaner einzugehen, weiter äußerst begrenzt sein dürfte. ks/mar nachrichten.red@volksfreund.de

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