So nicht, Freundchen!

Den 35. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China feiert Kanzlerin Angela Merkel heute Abend am ersten Tag ihres Besuchs in Peking. Diese Beziehungen dürften nach den Enthüllungen über Spionageangriffe auf deutsche Regierungscomputer jetzt in eine neue Phase treten.

Menschenrechtsverletzungen, Demokratiedefizite, Umweltsünden - das Verhältnis ist ohnehin nicht einfach. Nun kommt diese Affäre dazu. Sie ist dabei nur die Spitze eines Eisbergs, der aus einem massiven, flächendeckenden Ausspähen und Kopieren des technologischen Wissens Deutschlands und anderer Industrienationen besteht. Ganz unverfroren gehen die gelben Späher dabei vor und mit ziemlich wenig Schuldbewusstsein. Sie klauen fremdes Wissen, also fremde Arbeit. Sie kopieren - schlecht und oft gesundheitsschädlich - diese Produkte massenhaft für den Weltmarkt und zerstören damit weitere Arbeitsplätze. Kooperation zum gegenseitigen Wohl, Technologieaustausch und die Entwicklung aller Länder der Erde verlangte Chinas Präsident Hu Jintao in einer feierlichen Rede im Juni beim G8-Gipfel in Heiligendamm. In Peking trifft Merkel ihn heute wieder, und sie sollte ihm antworten: Freundchen, so nicht. Wenn auch vielleicht etwas diplomatischer formuliert.

China ist zu groß, zu bedeutend und wirtschaftlich zu interessant, um es brüskieren oder gar links liegen lassen zu können. Aber es ist auch zu undemokratisch und viel zu wenig rechtsstaatlich, um einfach den Mund zu halten. Angela Merkel sollte den Vorgang daher nicht nur in Peking offensiv ansprechen, sondern vor allem bei ihrer zweiten Reisestation in Japan, das den G8-Vorsitz im nächsten Jahr von Deutschland übernimmt. Denn nur wenn die großen Industrie-Nationen auch künftig an einem Strang ziehen, können sie der aufsteigenden Supermacht die Einhaltung fairer Regeln abtrotzen. Beim G8-Gipfel wurde im Juni der sogenannte "Heiligendamm-Prozess" mit den Schwellenländern verabredet, ein ständiger Dialog, bei dem es auch um den Schutz des geistigen Eigentums gehen soll. Diesen Dialog sollten die Industrie-Nationen sehr offensiv und selbstbewusst angehen. Sie sollten den Chinesen gemeinsam die Gelbe Karte zeigen - bevor sie über weitergehende Kooperationen mit dem Land reden. Denn solange der Partner aus Fernost noch kein wirtschaftlicher Riese, sondern tatsächlich nur eine ökonomische Mittelmacht ist, besteht noch die Chance, ihn zur Einhaltung der Standards eines normalen, kooperativen Miteinanders bewegen zu können. Und vielleicht auch zu etwas mehr Demokratie.

 Werner Kolhoff.

Werner Kolhoff.

Foto: Iris Maurer
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