Späte Milde

Die spannendste Frage ist auch nach dem gestrigen Urteilsspruch im Fall Richard noch nicht beantwortet: Könnte der kleine Trierer Junge womöglich noch leben, wenn ihn die Behörden rechtzeitig rausgenommen hätten aus einem Elternhaus, das sein kurzes Dasein zur Tortur werden ließ?

Vieles spricht dafür. Skandalös ist aber nicht nur das Gottvertrauen des Jugendamts. Nach dem Tod des kleinen Richard vergingen mehr als vier Jahre, bis seinen Peinigern endlich der Prozess gemacht wurde. An den Ermittlungsbehörden lag es nicht: Die Trierer Staatsanwaltschaft hatte zeitnah Anklage erhoben. Bleibt die zuständige Dritte Große Strafkammer, die mehrfach dringende Haftsachen als Entschuldigungsgrund dafür anführte, dass der Misshandlungsfall auf die lange Bank geschoben wurde. Ein Unding. Das Ergebnis ist ein Armutszeugnis für die Trierer Justiz. Richards Eltern wurden gestern deutlich milder bestraft, als sie es eigentlich verdient hätten. Der Kammer blieb gar nichts anderes übrig, die deutsche und europäische Rechtssprechung schreibt bei Verfahrensverzögerungen den Strafnachlass nun einmal zwingend vor. Was den angeklagten Eltern im Fall Richard - übrigens zu Recht - zugute kommt, widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden in weiten Teilen der Bevölkerung. Das aber kann sich eine Justiz nicht leisten, die ernst genommen werden will, der der Bürger vertrauen soll. Im Trierer Landgericht sollte man sich daher schnellsten Gedanken machen, wie so ein Fauxpas in Zukunft verhindert werden kann. r.seydewitz@volksfreund.de

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