Spagat auf dem Hochseil

Das ist eine ebenso überraschende wie hoffnungsfroh stimmende Kabinettsliste, die die SPD da vorgeschlagen hat.

Das ist eine ebenso überraschende wie hoffnungsfroh stimmende Kabinettsliste, die die SPD da vorgeschlagen hat. Steinmeier, Steinbrück, Tiefensee, Gabriel: Das sind ausnahmslos pragmatische, sachorientierte Profis, denen man zutrauen kann, in einer großen Koalition tatsächlich Politik zu machen - und nicht nur parteitaktische Spielchen.Es dürfte nicht ganz leicht gewesen sein, die alte Garde der Schilys, Eichels und Stolpes, von denen sich niemand nach dem Rückzug gedrängt hat, geräuschlos in den Ruhestand zu versetzen. Man wird sehen, ob sie sich mit dem Abgang abfinden oder ob sie wie Waldorf und Statler in der Muppet-Show von der Galerie aus mit galligen Kommentaren dazwischen funken. Da könnte es eine Koalition der Frustrierten mit Traditions-Sozialdemokraten geben, die sich unter den künftigen Top-Leuten kaum vertreten fühlen können.

Es ist schon auffällig, dass bei den Neuen keiner dabei ist, der die klassische SPD-Ochsentour vom Ortsvereins-Plakatkleber über den Juso-AG-Vorsitz bis zum Unterbezirksvorstandsprotokollführer absolviert hat. Steinmeier ist als Parteipolitiker nie in Erscheinung getreten, Steinbrück galt in Nordrhein-Westfalen als ideologiefreier Macht-Manager, Gabriel löckte des öfteren wider den Partei-Stachel, Tiefensee machte erst Karriere und trat dann als Quereinsteiger der SPD bei. Wenn auf der Gegenseite geistig mobile CDU'ler wie Schavan, von der Leyen oder Pflüger sitzen, dann könnte sich am Kabinettstisch der Großen Koalition wesentlich mehr bewegen lassen, als die absurde Nach-Wahlkampf-Schlacht der letzten Wochen vermuten ließ.

Den härtesten Job dürfte Franz Müntefering haben. Er muss einerseits die im Wahlkampf gepflegte Rolle der SPD als Verteidiger des Sozialstaats verkörpern, andererseits seinen Kollegen am Kabinettstisch den Rücken freihalten für die schmerzhaften Einschnitte, um die die neue Regierung angesichts der Realitäten nicht herum kommen wird. Die Rettung des Haushalts, die Schwerpunktsetzung auf Forschung und Bildung, die Sanierung von Sozial- und Rentenkassen werden an der sozialdemokratischen Klientel nicht spurlos vorbeigehen können.

Das politische Überleben der SPD hängt davon ab, dass sie in der Regierungspolitik grundlegende Reformen möglich macht, aber auch dafür sorgt, dass die Großen, die Erfolgreichen, die Leistungsfähigen in der Gesellschaft ihren angemessenen Beitrag dazu leisten.

Was die Neuen also als erstes üben müssen, ist der Spagat auf dem Hochseil ohne Netz. Den sollte man als Minister in einer großen Koalition beherrschen.

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