Spiel ohne Grenzen

Es ist bezeichnend, dass der Bundeskanzler die Tücken einer EU-Richtlinie auf seiner jüngsten Wahlkampfreise durch Schleswig-Holstein entdeckt. Der Brüsseler Entwurf zur Revolutionierung des Dienstleistungssektors liegt immerhin schon seit Februar vergangenen Jahres auf dem Tisch.

Offenbar hat Gerhard Schröder die Tragweite des Plans unterschätzt. Noch im Oktober 2004 war der Regierungschef nämlich voller Bewunderung über die angepeilte Beseitigung der Wettbewerbsschranken zwischen den einzelnen EU-Staaten. Das Ziel ist ja auch löblich. Wenn sich ausländische Dienstleister unbürokratisch den jeweiligen Märkten stellen dürfen, dann können Verbraucher nicht nur von einem größeren Angebot profitieren. Auch die Preise dürften spürbar purzeln. Der vorliegende Entwurf lässt allerdings weniger die Chancen als vielmehr die Risiken erahnen. Anstatt auf einheitliche Mindeststandards in allen EU-Ländern zu setzen, soll jeder Betrieb nach den sozialen und rechtlichen Gepflogenheiten seines Heimatstaates werkeln. Das kann nicht gut gehen. Liegt es doch auf der Hand, dass die höheren Standards etwa in Deutschland oder Frankreich der Billigkonkurrenz aus dem Baltikum oder Südosteuropas zum Opfer fallen. Dabei geht es längst nicht nur um das Lohnniveau. Auch die Qualität der Angebote droht auf der Strecke zu bleiben. Dass so genannte Herkunftslandprinzip muss deshalb aus der Richtlinie verschwinden. Dieser Schritt wäre ehrlicher, als einzelne Branchen vom grenzenlosen Wettbewerb auszunehmen. Zumal sich eine solche Lösung kaum vom bestehenden Protektionismus unterscheidet. Für entsprechende Verhandlungen ist noch genügend Zeit. Der Kanzler sollte sich nicht nur im Wahlkampf darauf besinnen. nachrichten.red@volksfreund.de

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