Steilvorlage für Rot-Grün

Schöne neue Republik, in der CSU-Chef Edmund Stoiber nun auch noch als allwissender Sozial-Prophet daher kommt: "Arbeitnehmer und Bürger” würden die Ideen der Union zur Reform des Arbeitsmarktes akzeptieren, so das bayerische Orakel gestern mit feiner Differenzierung und im Brustton der Überzeugung. Stoiber sollte die Leute nicht für dumm verkaufen. Auch als Politiker darf man "den Arbeitnehmern und Bürgern” ruhig zutrauen, dass sie den Unterschied zwischen reformerischer Notwendigkeit und dreister Attacke auf den Sozialstaat erkennen. Wird nämlich das wahr, was die Union wirklich will, bekommen wir tatsächlich ein neue Republik. Aber ob sie auch schöner werden wird? Der Aufstand im eigenen Lager gegen den arbeitsmarktpolitischen Versuchsballon hat gezeigt, besonders kluge Köpfe in der Union wissen, gegen die Arbeitnehmer allein lassen sich keine Wahlen gewinnen. Deswegen sind CDU und CSU bei ihren übermütigen Plänen auch wieder zurück gerudert. Allerdings kann die kosmetische Operation am Wachstumsprogramm nicht überdecken, welches Prinzip sich hinter dem Reformeifer von Angela Merkel und Edmund Stoiber in Wahrheit wohl verbirgt: Wettbewerbsfähigkeit um jeden Preis. Bei der nächsten Bundestagswahl weiß jetzt jeder, worauf er sich einlässt. Man kann es auch überspitzt so formulieren: Wenn alle nach Osteuropa abwandern, muss Deutschland halt so werden wie Polen oder wie Tschechien. Wenn keine Leute mehr eingestellt werden, müssen wir eben Arbeitsplatzbesitzer gegen Arbeitssuchende ausspielen und die Tarifautonomie gleich mit aushöhlen. Und was kümmern uns dabei Solidargedanke und Existenzängste in dieser neuen Republik? Nein, danke. Die Umfragehöhen im Rücken und die Tatsache wohl verdrängend, dass Politik nun mal eine Wellenbewegung mit Hoch und Tiefs ist, reagiert die Union inzwischen reflexartig wie der Pawlowsche Hund. Man zeige ihr einen Knochen mit der Aufschrift "Wachstum”, und schon heißt es: "Arbeitnehmerrechte abbauen”. Es stimmt, mit Besitzstandswahrung allein ist diesem Land nicht geholfen. Wenn Gerechtigkeit jedoch noch zählt, muss die Strategie lauten, Flexibilität am Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit so gut es noch geht miteinander zu verbinden. Die Konservativen haben sich daher alles in allem mit ihrem programmatischen Gipfel keinen Gefallen getan. Im Gegenteil. InSachen glorreicher Steuerreform à la Merz gilt nun ein Stückchen CDU und ein Stückchen CSU, weil man die zentralen Streitfragen einfach ausgeklammert hat. Überzeugend ist das nicht. Zu Gesundheit und Rente sagt man lieber gar nichts, denn die Positionen liegen noch weiter auseinander. Die einzigen, die daher wirklich vom Unionstreffen profitieren, sind Schröder & Co. Dank der durch die Umfragen selbstzufriedenen und auch selbstgerechten Union hat Rot-Grün jetzt wunderbare Steilvorlagen erhalten. Und vielleicht zeigt der Genosse Trend deshalb für die Sozialdemokraten ja bald wieder nach oben. nachrichten.red@volksfreund.de

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