"Stirnrunzeln und Kopfschütteln"

BERLIN. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit seinem überraschenden Vorstoß zur Reform der Nato nicht nur die Opposition auf dem falschen Fuß erwischt.

Freund wie Feind, die USA wie die Europäische Union, Uno-Generalsekretär Kofi Annan oder die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, allesamt waren sie verdutzt, erstaunt oder auch erzürnt über die ebenso forsche wie unkonventionelle Art von Bundeskanzler Gerhard Schröder, das westliche Verteidigungsbündnis in Frage zu stellen. Auch gestern hielt der Unmut an: Gleichmütig übten Merkel, FDP-Chef Guido Westerwelle, die Unionspolitiker Wolfgang Schäuble und Michael Glos sowie indirekt auch der SPD-Außenexperte Hans-Ulrich Klose Kritik an Schröders Vorgehen. Derweil bemühten sich Mitarbeiter des Kanzlers, das verwirrende Experiment als gelungene Aktion darzustellen. In Berlin wurde auch am Montag darüber gerätselt, ob Schröder mal wieder einen Coup landen konnte, oder ob eine kleine Gruppe unzulänglich begabter Laien im Kanzleramt voll daneben gegriffen hat. Der Ideengeber, Schröders außenpolitischer Berater Bernd Mützelburg, war auf der Sicherheitskonferenz in München mit dabei, als Verteidigungsminister Peter Struck anstelle des erkrankten Regierungschefs "für Irritationen sorgte" (Merkel) und für einen anderen Charakter des Verteidigungsbündnisses plädierte. Die Nato sei nicht mehr der richtige Ort, um strategische Vorstellungen zu beraten und zu koordinieren, meint Schröder wohl aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Irakkrieg. Die Erklärung dafür lieferte Struck nach, als er gestern im Berliner Inforadio sagte, im Bündnis sei nie ernsthaft über die Beendigung des Irakkriegs diskutiert worden. Vielmehr habe man zur Kenntnis nehmen müssen, "dass einige Nato-Partner entschlossen waren, unabhängig von einer Nato-Entscheidung einen solchen Krieg durchzuführen". Gemeint waren damit vor allem die USA, Großbritannien, Spanien und Italien. Damit sich solche "Konfliktfelder" nicht wiederholten, müsse eben über ein neues Selbstverständnis der Nato geredet werden. Klar, dass die - uninformierten - Nato-Partner über den Vorstoß perplex waren. Merkel warf dem Kanzler gestern vor, durch seine Vorgehensweise erheblichen außenpolitischen Schaden verursacht zu haben. Auch Westerwelle sprach von einem schweren Fehler, der "den Spalt im transatlantischen Verhältnis größer gemacht" habe. Schäuble sagte, das Bündnis sei intakt, man brauche keine Debatte über die Nato. In gleichem Sinne äußerten sich Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und der EU-Außenbeauftragte Javier Solana. Auch der SPD-Außenpolitiker Klose wies auf das "äußerst erfolgreiche" Bündnis hin, gestand aber zu, man könne durchaus "immer mal" über die Strukturen der Nato reden. Regierungssprecher Thomas Steg sprach von "Reflexen", die den Inhalt der Kanzlerrede nicht hinreichend berücksichtigt hätten. Der Vorschlag ziele nicht auf eine Schwächung, sondern eine Stärkung der transatlantischen Zusammen-Arbeit. Der Kanzler habe "zum richtigen Zeitpunkt einen richtigen Anstoß" gebracht, den er in der kommenden Woche auf dem Nato-Gipfel näher erläutern wolle. Angesichts einer veränderten Welt müsse es auch innerhalb der Nato zu "neuen Antworten" kommen, sagte Steg. Dies wird im Brüsseler Nato-Hauptquartier anders gesehen. Korrespondenten berichteten von einer Reaktion "zwischen Stirnrunzeln und Kopfschütteln". Ein Nato-Diplomat wird mit den Worten zitiert: "Schröder hat die Existenzfrage des Bündnisses gestellt".

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