Streit um Rekordverschuldung
BERLIN. Nur wenige Tage nach der Koalitionsvereinbarung ist der Streit zwischen Union und SPD über den Bundeshaushalt 2006 ausgebrochen.
Die Parteien in Berlin haben ihren ersten handfesten Streit. Stein des Anstoßes ist die geplante Rekordverschuldung beim Bundeshaushalt 2006. Sie liegt bei 41 Milliarden Euro. Für Investitionen dagegen hat die große Koalition im kommenden Jahr nur 23 Milliarden Euro übrig. Union und SPD hatten bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrages offen angekündigt, dass ihre Regierung einen verfassungswidrigen Haushalt plant und sie mit Vorsatz auch nichts unternehmen will, dies abzuwenden.Noch-Finanzminister Hans Eichel hatte angesichts riesiger Finanzlöcher in seiner Planung vom Sommer vorgesehen, fast das gesamte noch vorhandene Bundesvermögen in zweistelliger Milliardenhöhe zu verkaufen, um für 2006 einen Haushalt vorzulegen, der dem Grundgesetz entspricht. Es schreibt in Artikel 115 vor, dass die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen.
Die schwarz-rote Koalition ignoriert dieses Grundgesetzgebot ruppig. Sie will 2006 bei der Haushaltskonsolidierung untätig bleiben, möchte sich auch das Versilbern des Bundesvermögens für das übernächste Jahr aufheben, um so alle Kraft auf 2007 zu konzentrieren. Ab dann soll der Haushalt des Bundes sowohl grundgesetz-konform werden als auch endlich wieder den Maastricht-Kriterien der EU genügen.
Der künftige Finanzminister Peer Steinbrück begründet das so: Die neue Regierung muss 2006 Luft holen, um 2007 den Durchbruch zu schaffen. Ein noch härterer Sparkurs im kommenden Jahr, so Steinbrück, würde den Konjunkturmotor abwürgen. Also Tatenlosigkeit als Wachstumsmotor?
Und hier wird es spannend. Die drei Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linkspartei laufen inzwischen Sturm gegen die beabsichtigte Schulden-Marschroute von Schwarz-Gelb. Sie drohen mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Auch um dieser Verfassungsfalle zu entkommen, liebäugelt Peer Steinbrück deshalb inzwischen damit, von einer Möglichkeit Gebrauch zu machen, die das Grundgesetz ebenfalls bietet. In Satz 2 des Artikels 115 wird nämlich eine entscheidende Ausnahme aufgeführt. Die Regierung kann dann mehr Schulden aufnehmen als Investitionen tätigen, wenn sie eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" abwehren muss. Dazu werden vier Faktoren bewertet: Stabilität des Preisniveaus, Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie Wirtschaftswachstum. Bei diesen vier Kriterien öffnet sich ein weites Feld an Begründungen dafür, dass das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" gestört ist. Steinbrück meint, dass er sich damit gut durchmogeln kann. Zum Ärger der Genossen fährt die Union in dieser Frage weiter den alten Kurs, will dem Kniff Steinbrücks nicht folgen: Sie will partout der Öffentlichkeit einen "verfassungswidrigen" Haushalt präsentieren, um so die Schlussbilanz von Rot-Grün noch einmal besonders schlecht aussehen zu lassen. Ob dass dem Koalitionsklima gut tut?
In jedem Fall prüfen FDP, die Grünen und die Linkspartei inzwischen mit Hochdruck die Chancen einer Verfassungsklage in Karlsruhe. Einfach wird das nicht. Denn eine Normenkontrollklage kann nur von einem Drittel der Abgeordneten erhoben werden. Notwendig wären also 205 Stimmen. Die Oppositionsparteien verfügen zusammen jedoch nur über 166 Parlamentarier.