Stunde der Wahrheit

Die gestrige Präsentation von US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat dürfte die Gemütslage bei den Pro- und Kontra-Kriegern nicht wesentlich verändern. Das Praktische an Geheimdienst-Informationen, abgehörten Telefonaten und selbst Satellitenfotos ist nämlich: Sie lassen sich - entlang der Interessenlage - meist bequem in die gewünschte Richtung interpretieren.

So ist es am Ende dann mehr als nur eine Glaubensfrage, ob man den Erkenntnissen eines amerikanischen Regierungsmitglieds folgt oder den absehbaren Dementis eines diktatorischen Regimes Glauben schenkt, dessen Geschichte von Massenmord an der eigenen Bevölkerung, notorischen Lügen und Überfällen auf die Nachbarn geprägt ist. Es ist nämlich auch die Frage, ob man - wie im Fall Frankreichs - grundsätzlich bereit wäre, doch noch umzuschwenken und Kerninteressen wie die Fortführung der Wirtschaftsbeziehungen zu Saddam Hussein oder das Streben, sich als wichtigstes europäisches Gegengewicht zu Washington zu etablieren, neuen Fakten unterzuordnen und nun maximalen Druck auszuüben, der bis zur Anwendung militärischer Gewalt gehen kann. Für Deutschland stellt sich diese Frage allerdings nach den erneuten gestrigen Festlegungen der Bundesregierung nicht mehr. Da Powell gestern zahlreiche, durchaus glaubwürdige Indizien für eine bewusste Täuschungspolitik der irakischen Regierung vorgetragen hat, drängt sich nun auch die Frage auf, welchen Sinn es macht, immer wieder nach mehr Zeit für die Kontrolleure zu rufen oder diese Zeit - wie es die Bundesregierung in Berlin fordert - nicht begrenzen zu wollen. Die nun präsentierten Erkenntnisse zeigen in Ergänzung zu den weiter vorhandenen breiten Lücken in der irakischen Waffenliste überdeutlich, dass diese Form von "Eindämmung" dank der fortgesetzten Irreführung der Kontrolleure nicht funktioniert und der Hinauswurf der Inspektoren im Jahr 1998 Bagdad vor allem eines garantieren sollte: eine ungestörte Fortsetzung der bisherigen Waffenprogramme. Der Sicherheitsrat nähert sich nun rapide der Stunde der Wahrheit. Nur ein gemeinsamer scharfer Appell an Saddam Hussein und dessen Einsicht wird einen Krieg noch verhindern können. Denn dass die USA notfalls ohne zweite Resolution einen Waffengang starten und dies sowohl mit den Formulierungen der Resolution 1441 wie auch der Handlungsunfähigkeit der Uno begründen würden, daran kann es nach dem Vortrag Powells keinerlei Zweifel geben. nachrichten.red@volksfreund.de

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