Sumpfiges Gedankengut

Die Töne, die der CDU-Bundestagsabgeordnete Hohmann angeschlagen hat, sind nicht so selten, wie es scheint. Ungewöhnlich allenfalls, dass ein Vertreter des politischen Lebens so unvorsichtig ist, den Deckel über seinem sumpfigen Gedankengut freiwillig zu lüften. Am Stammtisch hört man die Sprüche öfter: Von den Juden, die die Deutschen ausnutzen, obwohl sie selber Dreck am Stecken haben; von den anderen Völkern, die doch auch ein Recht haben, ihre Vergangenheit neu zu definieren; von der ständigen Überbetonung der Nazi-Vergangenheit hierzulande. Da nicken viele gern, klingt es doch so plausibel. Das Problem ist: Es hat mit der Wahrheit nicht das Geringste zu tun. Die sechs Millionen Juden, die von den Nazis ermordet wurden, waren Opfer. Punkt. Dass es an anderer Stelle Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft gegeben hat und weiter gibt, die sich schuldig machen, ist unbestreitbar, tut aber nicht das Geringste zur Sache. Die Menschen, deren Leben in den Konzentrationslagern ruiniert oder deren nächste Angehörige ermordet wurden, haben einen Anspruch auf Wiedergutmachung. Das ist keine Frage der Kulanz oder der aktuellen Finanzlage. Wer käme auf die Idee, etwa einem Unfallopfer, das im Straßenverkehr zum Krüppel gefahren wurde, nach einer bestimmten Anzahl von Jahren zu sagen, nun sei es aber genug mit der Unfallrente? Um wie viel mehr muss das für Menschen gelten, denen man vorsätzlich Unrecht angetan hat. Dass andere Nationen ihre Vergangenheit zu idealisieren pflegen, ist fraglos wahr. Aber die französische Revolution, um das beliebteste Beispiel zu zitieren, war eben trotz aller Gräuel auch ein Aufstand des Volkes gegen eine blutige Feudalherrschaft und ein historischer Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie. An der systematischen industriellen Vernichtung von Millionen unschuldiger Menschen, oft Frauen und Kinder, in eigens dafür geschaffenen Lagern ist dagegen absolut nichts, was man abmildern, relativieren oder gar glorifizieren könnte. Bleibt die Frage nach der Überbetonung der jüngsten deutschen Vergangenheit. Sie wird nachhaltig widerlegt durch alle Untersuchungen über den Wissenstand heutiger Schüler in Sachen Nazi-Zeit. Der ist so erbärmlich defizitär, dass man eigentlich noch viel mehr darüber reden müsste, was vor gerade mal 60 Jahren, also noch zur Lebzeit der meisten Großeltern, in diesem unserem Land los war. d.lintz@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort